■ Vorschlag: Grazie im Tanz und in der Sprache: "Obs Kur" im Variete Chamäleon
Vorschlag
Grazie im Tanz und in der Sprache: „Obs Kur“ im Varieté Chamäleon
„Manche Leute wären's gern, ich jedoch, ich bin's. Doch mein Herz ist einsam wie eine Praline aus Linz!“ So quengelt der Prinz. Erst beim Anblick der Königin der Nacht wird sein Herz zum roten Luftballon. Und alles könnte so schön sein, wären da nicht der böse Grauszauberer Malan und sein Knecht...
Die Sommershow des Chamäleon spielt im Wunderland „Obs Kur“. Schon der Titel verrät den Sprachspieler Friedhelm Kändler, der das Varieté von der bloßen Nummernfolge erlöst und ein Märchen erfunden hat, in das die Kunststücke der Artisten sich ganz selbstverständlich einfügen. Verbindende Rahmenhandlungen hat es in Ansätzen schon öfter gegeben, etwa bei alternativen Zirkusprogrammen von Gruppen wie „Quecirque“ oder „Gosh!“ Eine auch sprachlich ausgefeilte Geschichte aber ist neu im Varieté. Die Form hat etwas Opernhaftes, weil das Kunststück den Fortgang der Handlung stoppt wie eine Arie. Vielleicht hat Kändler seine Grundkonstellation deshalb aus der „Zauberflöte“ entlehnt. Auf jeden Fall hat er die Chancen, die in der inhärenten Lächerlichkeit der Operngattung liegen, voll ausgeschöpft. „Obs Kur“ ist ein Zauberspiel von artistischem Witz, ein Sieg der Anmut über die Schwerkraft. Die schwebende Ironie der Sprache spiegelt die nixenhafte Grazie der Trapezkünstlerinnen (Tanja & Frida) und der Tanzfiguren, die die Ringe und Kreisel des Grauszauberers (Jochen Schell) beschreiben. Selbst das Übergewicht der Jonglage-Nummern, ungute Tradition im Chamäleon, und eine mißglückte Schlagerparodie am Schluß bringen die Show nicht aus dem Lot.
Als „Müllgeist“ kommentiert der Erfinder des Literarietés, Marcus Jeroch, das Geschehen im Märchenland: „Wahn! Schlimmster Wahn nach Art von Treppenhausgesprächen.“ Er behält die Ruhe, auch wenn eine „Gigantenwarnung“ aus den Lautsprechern schallt. Und zur Pause verpaßt er den „Obs Kur“-Gästen eine – Obstkur. Äpfel und Bananen, „die man weiterschenken soll an eine fremde Person als Ausdruck erotischen Gefallens“. Wer sich bei der Premiere nicht getraut hat, muß wiederkommen. Oder auf Obstbeigaben beim neuen Sonntagsbrunch-Programm des Chamäleon hoffen: „Die lebende Tageszeitung“. Das Frühstück bei Hacki soll Kabarett und Varieté verbinden, stets passend zu den aktuellen Sonntagszeitungen. Miriam Hoffmeyer
„Obs Kur“ bis 27.7. Di.–So. 20.30 Uhr; „Die lebende Tageszeitung“ ab Pfingstsonntag alle 14 Tage um 12 Uhr, Chamäleon Varieté, Rosenthaler Str. 40/41, Mitte, Tel. 238 57 69.
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