■ Vorschlag: Annie Sprinkle erzählt „HERstory of Porn“ in der UFA-Fabrik
Im Foyer kann man (und insbesondere frau) sich an Infoständen über Sextoy-Novitäten informieren, an den Wänden hängen Titt- Prints von Annie Sprinkle zum Verkauf, und auf der Bühne im Theatersaal zeigt die Queen of Sex ihre ganz persönliche sexuelle Revolution in Form eines Schnelldurchlaufs durch ihr filmpornographisches Schaffen. Viele erotische Vibrations, könnte man denken, aber so richtig antörnend wurde die neue Show der Erfinderin des Tittenballetts dann doch nicht. Als zum Ende das Publikum aufgefordert wurde, live on stage zu Pornostarlets des neuen Jahrtausends zu werden, wollte partout niemand zu den Latexhandschuhen und zum Massageöl greifen.
Sprinkle läßt den Projektor abfahren und kommentiert vom Klappsitz ihres imaginären „Pink Pussycat Cinema“ ihr Frühwerk: Da kramt die 18jährige mit Teenage-Girlie-Zöpfchen mit zwei Herren herum und hat wenige Filmminuten später ihre erste Lesbenfilmszene ihres Lebens. „Sind auch wirklich alle über 18?“ versichert sie sich noch einmal und klappert mit ihren Pumps. Mit der Naivität einer Hausfrau und der kindlichen Begeisterung eines Unschuldslammes spricht Sprinkle über ihre Sexarbeit wie andere ihre Urlaubsdias kommentieren. In den besten Momenten hat diese ironische Distanz beste Comedy-Qualität. Dann stellt sie eine Stufe härter, läßt auf der Leinwand piercen, fisten, fesseln.
Es gibt Sex mit einem verzauberten Frosch und einer polnischen Salami, um schließlich ihren ersten eigenen Pornofilm in Ausschnitten vorzustellen. Das war 1982 und der offensichtlich erste Versuch, Pornos von und für Frauen zu machen. Bis dahin haben wir viel gelacht und sind auch ein wenig verstört auf dem Stuhl herumgerutscht. Nach der Pause ist dann alles Tantra. Sprinkle entdeckt sich neu als Hohepriesterin spiritueller Sexualität. Jetzt gibt es keine der zuvor so sehr von ihr geliebten „Spritzerszenen“ mehr, sondern Videokunst mit pansexueller Verschmelzung, Safer-Sex-Aufklärung mit Frischhaltefolien und Lesbensex für Anfängerinnen und Fortgeschrittene.
Je näher Annie Sprinkle in der Erzählung ihrer „HERstory of Porn“ in die Gegenwart rückt, um so mehr verwandelt sie sich von der selbstironischen Entertainerin zur Botschafterin und Lehrerin sexueller Selbstverwirklichung. Ihr legendäres rhythmisches Busengehüpfe gab es diesmal nicht, und auch ihre Gebärmutter wurde nicht wieder zur Besichtigung freigegeben. Annie aber verweist zum Trost auf ihre Website (www.heck.com), da ist ihr Inneres rund um die Uhr zu bestaunen. Axel Schock
Mi–So, 20 Uhr, Ufa-Fabrik, Viktoriastraße 10 bis 18, Tempelhof
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