■ Vorschlag: Folter und Sprache: Hans-Werner Kroesingers „SOP“ im Podewil
Ganz schön kühn: Der artist in residence im Podewil, Hans-Werner Kroesinger, richtet vier theatrale Bilder über Folter ein und bedient sich obendrein noch heftig beim Dokumentartheater à la Peter Weiss oder Heinar Kipphardt. Das klingt erst mal anstrengend, angestrengt auch, ein harter Brocken Authentizität und Gesinnung.
Doch es kommt auf äußerst souveräne Art und Weise anders, Kroesinger fürchtet sich nicht vor Theatergeistern. Zuerst auf dem Flur wartend, dann im Anhörungszimmer eines Asylverfahrens und zuletzt im Theatersaal werden wir zu Zeugen, genauer: zu Zeugen der Zeugen von Folter, die (fast) immer sprachlich vermittelt wird. Nahe an den präzisen Schauspielern dran und trotzdem außen vor – unserer Zeugenschaft eignet etwas Ohnmächtiges, auch oder vielleicht gerade wegen der Distanz der Sprache.
„SOP“ steht für Standard Operating Procedure, hier ein Kürzel für den normalen, geregelten Verlauf von Gewalt. Vier Herren stehen im hell erleuchteten Gang und tauschen sich über eine Folterung aus. Fünf Regeln kehren wieder, dann wird der Hergang im verkrüppelten Satzbau rekapituliert. Die Sprache zeigt Wunden, auch bei den Tätern. Verkehrte Welt: „Hände, Finger, Nägel?“ Wo keine Hand ist, ist kein Finger etc.
Das Publikum teilt sich in zwei Hälften. Ein verfolgter kurdischer Schriftsteller da und hier ein Folterbeweise sammelnder Medizinstudent aus Sarajevo erzählen im kahlen Raum ihre Geschichten. Kroesinger gibt sich Mühe, nur wenig zu überzeichnen, die fetten Striche sind nicht vonnöten. Denn in der Berührung mit dem ersten Bild verschiebt sich das zweite unweigerlich ins Monströse, und so treiben die Lücken ihr böses Spiel und lassen sich mit dem Dialog im Zimmer auffüllen, obwohl da ja alles ganz grotesk sachlich abläuft. Im dritten Bild auf der Bühne folgt die Konkretisierung, die wie eine Bankrotterklärung wirkt. Ein Schauspieler in einem durchgeknallten Filmcasting; Produzent, Regissseur und Kameramann als lächerliche Chargen. Kroesinger versucht sich hier im locker Komödiantischen, das schließlich doch in einen Bericht eines Kriegsverbrechers mündet. In den streng kühlen Entwürfen der ersten beiden Bilder zeigt er aber außerordentliches Gespür. Tobi Müller
Bis So, 25.1., 20 Uhr im Podewil, Klosterstraße 68–70
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