■ Vorschlag: Leuchtende Porträts der Ostberliner Subkultur – Installation am Tacheles
Riesige Porträts auf matt-durchsichtiger Opera-Folie leuchten vor der leeren Rückwand des Tacheles auf. Die fassadenlosen Zimmer hinter den Bildern sind mit Neonlicht ausgestrahlt, womit das Tacheles in seinem rauh-romantischen Abbruchcharme selbst zum Kunstwerk gerät. „Light Faces“ nennt der Künstler Bernhard Draz diese Form der Porträtinstallation, wobei das Wort „light“ hier in seiner Doppeldeutigkeit sowohl die Schwerelosigkeit der Transparentphysiognomien als auch das „innere Leuchten“ der Gemälde impliziert. Die überlebensgroßen Torsi beeindrucken durch die Ausdrucksstärke ihrer Mimik, deren Dramatik in einem irritierenden Kontrast zur Leichtigkeit der Transparentfolie stehen. Eine existentielle Bedrohung, die subkutan aus den farbintensiven, „schönen“ Bildern spürbar wird. Ein wenig ist wohl von Draz' früherer Beschäftigung als Bühnenbildner hier eingeflossen, auch die Opera- Folie ist ein Theatermaterial zum Ausleuchten von Horizonten.
Draz, 1970 in Traunstein geboren und 1993 nach Berlin gezogen, hat schon im letzten Jahr die (Ost-)Berliner Subkultur in Form einer umfangreichen Porträtserie dokumentiert. „Spurensuche“ nannte sich die Arbeit: Großformatige, transparente Porträts schmückten, an Drahtseilen hängend, den ersten Hinterhof der ehemals besetzten Häuser Dunckerstraße 14–15. Die Menschen, die Bernhard Draz in realistisch-expressiver Weise malt, entstammen allesamt dem alternativen Milieu in Prenzlauer Berg, Hausbesetzer, Künstler, Abhänger. Insofern ist das Tacheles wie die Dunckerstraße ein optimales Ambiente für die Arbeiten von Draz. Die zerklüftete Rückwand fungiert als Kulisse, jedes der Zimmer umrahmt ein Porträt, doch wird das Augenmerk auch auf die Architektur des ehemaligen Kaufhauses selbst gelenkt. Es erscheint als rohes, widerspenstiges Massiv, dessen aufgerissene Innenräume schon von der neugestalteten Friedrichstraße her furios und düster leuchten.
Eine ungewisse Zukunft, das haben der Veranstaltungsort, das Tacheles, die Porträtierten und der Porträtmaler Draz selbst gemeinsam. Eine „Zwischenzeit“ für alle Beteiligten. Tanja Dückers
Bis 31.10., Oranienburger Straße 53–56, Mitte
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