Vormunde für geflüchtete Jugendliche: Bezugspersonen gesucht

Ehrenamtliche Vormunde erleichtern unbegleiteten geflüchteten Jugendlichen das Ankommen. Doch es gibt viel zu wenige – eine Initiative will das ändern.

Ein junger Mann läuft durch einen Raum, rechts hinter ihm führt eine Treppe nach oben

Vormunde als wichtige Bezugs­personen: Jugendlicher in Wohnheim für unbegleitete minderjährige Geflüchtete in Berlin Foto: Maurizio Gambarini/imago

BERLIN taz | „Ich wäre ohne meine Vormundin nicht da, wo ich heute bin.“ Anas Homsy (Name geändert) kam 2015 im Alter von 16 Jahren nach Berlin. Allein, ohne seine Eltern. Er war ein Jugendlicher voller Tatendrang, stand in der Pubertät, aber nichts ging voran. Er konnte keinen Asylantrag stellen, weil das System überlastet war. Er bekam keinen Schulplatz, auch die waren knapp. Er konnte kein Bankkonto eröffnen, hatte kein eigenes Zimmer, erzählt er. „Nach einem halben Jahr bekam ich eine Vormundin, die sich um alles kümmerte.“

Heute studiert Anas Homsy in Berlin. Die ehemalige Vormundin, die bis zu seiner Volljährigkeit seine persönlichen Sachen regelte, sei, so Homsy, „noch immer Teil meiner Familie.“

3.100 unbegleitete minderjährige Flüchtlinge, also Jugendliche ohne Begleitung ihrer Eltern, kamen im vergangenen Jahr nach Berlin. In diesem Jahr rechnet die Jugendsenatsverwaltung mit einer vergleichbaren Zahl. Die allermeisten von ihnen sind Jungen, denn Mädchen schaffen nur selten den beschwerlichen Weg über Libyen, das Mittelmeer oder die Balkanroute.

Die wichtigsten Herkunftsländer der Jugendlichen sind Syrien, Afghanistan, die Ukraine und Benin. Und es ist auch heute so wie 2015: Zuerst werden sie in Berlin nur geparkt. Sie müssen Monate warten, bis sie einen Asylantrag stellen und zur Schule gehen dürfen. Selbst auf die amtliche Schätzung, ob sie tatsächlich minderjährig sind und damit die Jugendhilfe für sie zuständig ist, müssen sie oft lange warten.

Vormunde können wichtige Ratgeber sein

Gerade in dieser Anfangszeit nach der Ankunft könne ein Vormund helfen, betont Ronald Reimann vom Projekt „akinda – Berliner Netzwerk Einzelvormundschaft“. Reimann wirbt für dieses Ehrenamt, bei dem ein Erwachsener einem Jugendlichen zur Seite steht.

Die Tätigkeit als Vormund sollte über die unmittelbare Starthilfe hinausgehen und langfristig angelegt sein, sagt Reimann: „Die Jugendlichen können damit eine persönliche Beziehung zu einem Erwachsenen aufbauen. Das ist umso wichtiger, weil auf der Flucht oft Beziehungsabbrüche erlebt werden.“

Außerdem erhalten rund 95 Prozent der minderjährigen unbegleiteten Flüchtlinge in Deutschland einen Schutzstatus, sodass eine langjährige persönliche Beziehung entstehen kann, die über die Volljährigkeit des Jugendlichen hinausgeht, mit der die Vormundschaft eigentlich endet. Ein Vormund kann auch danach noch ein wichtiger Ratgeber sein, beispielsweise bei der Berufswahl.

Wie die Sorge um ein eigenes Kind

Doch vielen unbegleiteten minderjährigen Geflüchteten bleibt diese Chance verwehrt. In Berlin mangelt es an Vormunden. Zieht man die Jugendlichen ab, die einen Verwandten wie die große Schwester oder den Onkel zum Vormund haben, dann gibt es landesweit lediglich für 218 jugendliche Flüchtlinge einen Einzelvormund.

„Findet sich kein Einzel­vormund, übernimmt ein Jugendamt die Vormundschaft oder ein Verein oder ein Anwaltsbüro“, erklärt Berlins Jugend­staatssekretär Falko Liecke (CDU) das Prozedere. Jedoch entfallen da oft 50 Jugendliche auf eine Betreuungsperson. Das führt dazu, dass die Verantwortlichen sich nicht ausreichend um individuelle Anliegen und Probleme kümmern können.

Jessica Neu hat im vergangenen Herbst die Vormundschaft für einen geflüchteten Jugendlichen übernommen. Dazu hatte sie sich entschieden, nachdem ihre Kinder ausgezogen waren. Für Neu gleicht die Sorge um den 15-Jährigen Jungen ein wenig der um ihre eigenen Kinder – mit dem Unterschied, dass der Jugendliche nicht in ihrem Haushalt lebt, sondern in einem Wohnheim.

„Es ist eine tolle Erfahrung, einen Menschen begleiten zu dürfen, der auch immer etwas fragt“, sagt sie. Zu Weihnachten hätte sie den Jungen in ihre Familie eingeladen. „Das hat ihm gefallen.“ Ansonsten sei sie für den Jungen eine Art Fallmanagerin, arbeite mit dem Wohnheim zusammen, mit dem Jugendamt. Sie hat ihm auch eine Schule gesucht.

Ronald Reimann von akinda schätzt es, wenn Vormunde ihr persönliches Netzwerk für die Jugendlichen einbringen, sie beispielsweise auf der Suche nach einem Sportverein oder einem Facharzt unterstützen. „Wir begleiten und schulen die Vormunde. Sie sind nicht allein.“ Am Dienstagabend organisiert sein Projekt eine Online-Infoveranstaltung für Menschen, die sich vorstellen können, eine Vormundschaft zu übernehmen.

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