Vorm CL-Halbfinale Tottenham vs. Ajax: Vic Buckingham, der totale Pate
Vic Buckingham kickte für Tottenham und war Trainer bei Ajax. Dort hat er Johan Cruijff entdeckt. Eine Portion Fußballhistorie zur Champions League.
Vor dem Champions-League-Halbfinale, dessen Hinspiel am Dienstag um 21 Uhr angepfiffen wird, ist Tottenham Hotspur erst ein Mal auf Ajax Amsterdam getroffen – in der ersten Runde des Pokals der Pokalsieger 1981: Die Londoner, angeführt von Glenn Hoddle, gewannen sowohl das Hin- als auch das Rückspiel, erzielten sechs Tore. Die Niederländer – nur noch ein Schatten der spielstarken Mannschaft der 1970er Jahre – trafen nur einmal ins Tor. Das war's. Und doch haben die Klubs einen Teil ihrer Geschichte gemeinsam – besser gesagt: Ajax hat Tottenham etwas zu verdanken, etwas für die golden Ära des Klubs durchaus Entscheidendes.
Es geht um Vic Buckingham. Das Engagement des Engländers ist in die Geschichte des niederländischen Fußballs eingegangen. Aber so einfach ist die Geschichte dann doch wieder nicht. Faszinierend ist sie in jedem Fall.
Als Spieler hat Buckingham trotz seiner 204 Liga-Einsätze für Tottenham Hotspur vor und nach dem Zweiten Weltkrieg nie das höchste Niveau erreicht. Trotzdem war seine Erfahrung an der White Hart Lane von großer Bedeutung für sein weiteres Leben. Denn er konnte die Arbeit von Spurs-Trainer Arthur Rowe von Anfang an beobachten. Rowes revolutionierte das Fußballspiel. „Push and run“ nannte sich seine Spielweise. Sie war von der Fußballschule Ungarns inspiriert, wo Rowe kurz vor dem Krieg gearbeitet hat.
Auf der Insel war sie so gut wie unbekannt. In den zwei Saisons nach Buckinghams Rücktritt 1949 gelang Tottenham erst der Aufstieg und dann die Meisterschaft. Mit ihrem flüssigen Ballbesitzfußball hatten die Spurs Englands größere Klubs regelrecht in Panik versetzt.
Schnell und flach
Buckingham war schon zu Beginn seiner Karriere unter dem schottischen Trainer Peter McWilliams mit dem Ballbesitzfußball vertraut. Zu seinen damaligen Mitspielern zählten Arthur Rowe selbst und Bill Nicholson, jene Trainer-Legende der Spurs, die in den 60er und 70er Jahren insgesamt elf Titel geholt hat, darunter den Uefa-Cup 1972 und den Pokal der Pokalsieger 1963. Als Buckingham 1950 seine Trainerkarriere beim Amateurklub Pegasus AFC Oxford and Cambridge begann, setzte er die Spielphilosophie um, die ihn geprägt hatte: Den Ball schnell und flach laufen zu lassen und so viele Spieler wie möglich anzuspielen. Im Vergleich zum dominierenden „Kick-and-rush“ musste das dem englischen Fußball-Geschmack fremd, sogar verdächtig vorkommen. Jedenfalls funktionierte es: 1951 führte der junge Trainer seinen Klub zum FA-Amateur-Cup-Sieg im ausverkauften Wembley Stadion. 1954 gewann Buckingham seinen ersten Profi-Titel mit Underdog West Bromwich Albion. Zum allgemeinen Erstaunen verließ er den Klub, um bei einem Klub namens Ajax Amsterdam anzuheuern, in dem noch kein professioneller Fußball gespielt wurde.
In den Niederlanden waren englische Trainer keine Seltenheit. Doch Buckingham unterschied sich von seinen Kollegen: Er förderte das Kurzpassspiel, das auf Ballbesitz und intelligente Bewegungen ohne Ball aufgebaut war. Er war durchaus überrascht, als er mitbekam, dass die Ajax-Spieler bereits alle Voraussetzungen hatten, um seine Spielphilosophie zu verstehen. Und er hatte Erfolg. Ajax gewann 1960 den Titel. Und dann war da noch etwas: Buckingham entdeckte einen hoffnungsvollen 12-Jährigen aus der Nachwuchsabteilung: Johan Cruijff.
Der Engländer hatte eine ganz besondere Beziehung zu dem Jungen: In Cruiffs Autobiographie „Mein Spiel“ ist zu lesen, dass er oft beim Trainer zu Gast war und mit Buckinghams Kindern Englisch lernte. Als er sich 1961 schon wieder von Amsterdam verabschiedete, wusste Buckingham, dass man von diesem Jungen noch hören würde. Als Buckingham 1964 zu Ajax zurückkehrte, verhalf der dem dann 17-jähringen Cruijff zu einem Platz im Kader.
Am 15.November 1964 kam Cruijff in Groningen zu seinem Debüt – Buckingham sei Dank. Der Durchbruch des jungen Hochbegabten war indes das einzig Positive einer erfolglosen Saison: Für die schlechten Ergebnisse der insgesamt hoffnungslos veralteten Mannschaft übernahm Buckingham die Verantwortung. Er trat im Januar 1965 zurück. Zuvor aber sorgte er dafür, dass die zwei besten Nachwuchsspieler von Ajax, Cruijff und Außenstürmer Piet Keizer die ersten Profi-Verträge im niederländischen Fußball erhielten.
Die Mannschaft wurde von Rinus Michels übernommen. Wenn dieder – und das mit Recht – als Vater des Totaalvoetbal, des totalen Fußballs gilt, dann könnte man Vic Buckingham als Paten dieser Spielweise bezeichnen. Kurioserweise war Buckingham auch Michels' Vorgänger als Trainer des FC Barcelona, den er zwischen 1969 und 1971 trainierte. Mit ihm gewannen die Katalanen 1971 den spanischen Pokal im Finale gegen Real Madrid. Mit seiner Rolle als Wegbereiter der goldenen Zeit von Ajax hat sich Vic Buckingham nie gebrüstet. Sein Herz schlug für den Klub. Ein Teil zumindest. Der andere schlug für Tottenham.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hybride Kriegsführung
Angriff auf die Lebensadern
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
Niederlage für Baschar al-Assad
Zusammenbruch in Aleppo
Eine Chauffeurin erzählt
„Du überholst mich nicht“
Parteitag der CDU im Hochsauerlandkreis
Der Merz im Schafspelz
Misogynes Brauchtum Klaasohm
Frauenschlagen auf Borkum soll enden