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■ VorlesungskritikMuch risk, no fun

Der Überraschungsgast war alles andere als eine Stimmungskanone. Derzeit versucht die Freie Universität Berlin, ihren 50. Geburtstag als ganzjährige Party zu inszenieren. Die Akademiker tun, was sie unter „feiern“ verstehen: Sie halten Vorträge und veranstalten Kolloquien. Jeder prominente Gast findet sich, ob er will oder nicht, als Statist auf der Bühne dieses Spektakels wieder. So mußte sich auch der Soziologe Richard Sennett als „liebster Gast“ der FU-Geburtstagsparty vorstellen lassen.

Dumm nur, daß Sennett alles andere als ein Partylöwe ist. In den Ritualen akademischer Selbstinszenierung erwies sich der Gastredner als wenig bewandert. Sennett, als Dozent an der New York University (NYU) und der London School of Economics (LSE) eher an intime Seminargrößen gewöhnt, empfand den Auftritt vor großem Publikum offenbar als unbehaglich. Zunächst nuschelte er nur vor sich hin, bis das Auditorium lautstark den Griff zum bereitliegenden Mikrofon erzwang.

Was mit elektronischer Verstärkung schließlich doch in die letzten Winkel des Hörsaals drang, war nicht mehr als eine Zusammenfassung von Sennetts jüngstem Buch über „die Kultur des neuen Kapitalismus“. Dieser „neue“ Kapitalismus habe dem klassischen Fordismus mit seiner totalen Regulierung der Zeit und der funktionalen Organisation des Raumes ein Ende bereitet. Die traditionelle Fabrik, die das Roheisen aufnimmt, um es als fertiges Auto wieder auszustoßen, gibt es nicht mehr.

Doch die Befreiung aus jenem beängstigend kompakten Lebensentwurf, zu dem dieses Fabriksystem den Menschen zwang, hat einen hohen Preis. Die neue Kommunikationstechnologie, die Globalisierung von Produktion und Finanzmärkten, die Relativierung menschlicher Fertigkeiten in einer Zeit, in der Erwerbstätige durchschnittlich elfmal den Arbeitsplatz und dreimal den Beruf wechseln – all das hat zum Abschied von der klassischen Erwerbsbiographie geführt, die sich noch als Geschichte eines linearen Aufstiegs erzählen ließ. „Wer braucht mich?“ – auf diese Frage, ohne die sich kein Selbstbewußtsein entwickeln kann, gibt es keine Antwort mehr.

Überraschen kann die Diagnose nicht. Fast scheint es, als hinke Sennett, der vor zwanzig Jahren mit seiner These vom „Verfall des öffentlichen Lebens“ Furore machte, der Entwicklung hinterher. Daß wir in einer „Risikogesellschaft“ leben, hat sein deutscher Kollege Ulrich Beck schon vor zehn Jahren diagnostiziert und daraus, gemeinsam mit LSE-Chef Anthony Giddens, eine Theorie der „zweiten Moderne“ gezimmert. Wo Beck, stets den glitzernden Starnberger See vor Augen, auch Chancen sieht, betont Sennett aber den Verlust. Doch alle Hoffnung hat auch er nicht aufgegeben. Er vertraue, sagt er, „in die Fähigkeit, zu widerstehen“. Ralph Bollmann

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