■ Vorlesungskritik: Joschkas Exzellenzen
Vor akademischem Publikum machen Politiker meist eine schlechte Figur. Die Einladung verdanken sie in der Regel nur dem professoralen Kalkül, gute Beziehungen zu Ministern und Parteiführern könnten der Hochschule im Kampf um Finanzen von Nutzen sein. Doch während die Gelehrten am Rednerpult die Verdienste des Politikers um die Wissenschaft rühmen, rümpfen sie anschließend die Nase. Statt geistiger Größe und intellektuellem Format, raunen sich die stolzen Akademiker dann zu, nur Halbbildung und Platitüden.
Anders Joschka Fischer. Der Mann ist auch im Audimax der Freien Universität Berlin eine Attraktion. Eigentlich sollte dort der polnische Außenminister Bronislaw Geremek mit einem Ehrendoktortitel ausgezeichnet werden. Doch Fischer hielt die Laudatio, und es lag nicht nur an Problemen mit der polnischen Aussprache, daß das studentische Publikum nicht wegen Geremek, sondern „zu Joschka“ gekommen war.
Fischer enttäuschte die Erwartungen nicht. Im Gegensatz zu den meisten seiner diplomierten Politikerkollegen kennt der Autodidakt wissenschaftliche Texte auch aus eigener Anschauung, kämpfte sich auf dem Weg zu seinem außenpolitischen Credo durch Dutzende historischer Standardwerke. Diesmal waren es die Professoren, die beim Verlesen ihrer vorbereiteten Manuskripte ziemlich alt aussahen. Das einzige, was sich Fischer vorher hatte einflüstern lassen, war die akademische Anrede „Exzellenzen und Magnifizenzen“ – die Studenten quittierten es zum Ärger der Professoren mit schallendem Gelächter.
Daß Fischer eigentlich nicht viel gesagt hatte, ließ sich nur im nachhinein beim Blick auf den Notizblock feststellen. Schließlich hat sich der Außenminister auf den Job als deutscher Chefdiplomat lange genug vorbereitet und weiß inhaltliche Blässe mit effektvoller Rhetorik aufs trefflichste zu vereinen. Die große Weltpolitik in persönliche Anekdoten kleiden, inhaltliche Festlegungen meiden und zugleich den Anschein der Verbindlichkeit erwecken – diesen Dreiklang der politischen Rede beherrscht Fischer virtuos.
„Wir dürfen hier nicht kleinkariert denken“, bekannte er sich vor seinem polnischen Kollegen vollmundig zur EU-Erweiterung. Doch mit dem Zusatz, es gehe nur noch „um das Wie und das Wann“, näherte er sich nur scheinbar dem Kern der Sache. Als sei er schon fast zu weit gegangen, wechselte er wenig elegant das Thema. Er wolle die akademische Feierstunde nicht „mit Fragen der praktischen Politik“ belasten, sagte er – und blickte dabei so treuherzig über den Brillenrand, daß ihm niemand die Flucht in den Elfenbeinturm verübelte.
Zumal er das dankbare Publikum sogleich mit einer satirischen Attacke gegen seine Gastgeber ablenkte. Schließlich war der Fachbereich Politische Wissenschaft, der Geremek ehrte, einige Tage zuvor in einem neuen Fachbereich Sozialwissenschaften aufgegangen. Es sei „ein schwieriger wesenslogischer Zustand“, so Fischer, „daß eine Institution, die es nicht mehr gibt, dennoch in der Lage ist, etwas zu verleihen“.
Vielleicht hatte Fischer auch deshalb wenig Verständnis für diese höhere akademische Logik, weil er „die FU nie besucht“ hatte. Immerhin, so gestand er, war die Berliner Hochschule für ihn nicht anders als für Berlins Regierenden Bürgermeister Eberhard Diepgen „ein Leuchtpunkt im Jahre 68“ – wenn auch auf „höchst unterschiedliche Weise“. Daß Diepgen ihm jetzt zu Füßen saß und dem „Herrn Vizekanzler“ artig lauschte, wertete der Außenminister als „gewaltigen Fortschritt der deutschen Demokratie“. Ralph Bollmann
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