■ Vorlesungskritik: Wild und gefährlich
Dieter Kreutzkamp geriert sich im Vortragssaal der Berliner „Urania“, als gelte es, die Tücken der Wüste zu besiegen. Mit Halstuch, Cowboystiefeln und herb-männlichem Gang stolziert der „Reiseschriftsteller“ vor den Dias des Familienurlaubs in Australien hin und her, als müsse er Freunde und Verwandte beim heimischen Lichtbildabend vom eigenen Abenteurertum überzeugen.
Doch das hat Kreutzkamp längst nicht mehr nötig. Seit er vor langen Jahren seinen Job als Regierungsamtmann in Niedersachsen aufgab, reist er mit seiner Frau um die Welt. Im heimischen Bad Münder macht er nur noch Station, um zwischen all den Welt- und Vortragsreisen jene Dias zu sortieren, die er dann einem willig zahlenden Publikum präsentiert – die weihnachtlich „leuchtenden Kinderaugen“ von Tochter Bettina eingeschlossen.
Solche „Live-Dia-Shows“ füllen regelmäßig die größten Hörsäle von Hochschulen und Bildungshäusern. Die Veranstaltungen, die sich in keinem Vorlesungsverzeichnis finden, ziehen weit mehr Besucher an als jede Vorlesung.
„Abenteuer“ ist das Schlüsselwort, mit dem Kreutzkamp das Publikum begeistert. Mal kommt es verführerisch-säuselnd über seine Lippen, mal in hartem Stakkato. Daß es „auch heute noch ein Abenteuer“ sei, „Australien zu bereisen“, kann er gar nicht oft genug betonen, und den Wüstenort Alice Springs preist er gleich mehrfach als „Sprungbrett fürs Abenteuer“. Kreutzkamp tut, wovon die Zuhörer bestenfalls zu träumen wagen: Er lebt wild und gefährlich.
Das faszinierte Publikum besteht zur einen Hälfte aus schwerhörigen älteren Damen, die energisch das Ausschalten der Musik verlangen, weil sie sonst den Vortrag nicht verstehen. Die andere Hälfte stellen jene jungen Männer, für die das Amerikanische den Begriff nerd bereithält. Das Wörterbuch umschreibt ihn schlicht mit uninteresting people, für Max Goldt handelt es sich um „junge Männer, die sich, statt auszugehen, abends daheim einem Steckenpferd widmen, sich von Miracoli ernähren, keine Freundin haben, darunter aber nicht groß zu leiden scheinen und hellblaue Oberhemden und Hosen mit Gürtelschlaufen, aber ohne Gürtel tragen“.
Beiden Zielgruppen scheint daran gelegen zu sein, der Enge der Zivilisation zu entfliehen. Jedenfalls befaßt sich das Genre der „Live-Dia-Show“ ausnahmslos mit menschenleeren Landschaften – den Weiten Australiens, dem ewigen Eis Alaskas, den Fjorden Norwegens. Australien sei ein „Lucky Country“, betont Kreutzkamp, „weit von den Problemen der Welt entfernt“.
Dennoch wäre es weit gefehlt zu glauben, solche Dia-Abende hätten keine soziale Funktion. Eine Frage nur, und schon kommen Fremde miteinander ins Gespräch: „Waren Sie schon in Australien?“ Indem sie über die Weiten des fünften Kontinents reden und vom „fernen plop- plop-plop vorbeihopsender Känguruhs“ träumen, kommen sich die einsamen Herzen näher. Ralph Bollmann
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen