■ Vorlauf: Biederer Brandstifter
„Liebeslehrer der Nation. Oswalt Kolle“, 21.45 Uhr, ARD
Dieser Jägersmann in grünen Loden, den Feldstecher forsch ans Aug gepreßt – dieser ältere Herr dort auf dem Hochsitz droben, das wird doch nicht... Doch, doch, der Oswalt Kolle ist's. Jener Mann, der sich in den 60er Jahren zunächst als Sexratgeber in Illustrierten wie Quick und Neue Revue einen Namen machte, um dann via Kino die Beischlafgewohnheiten der Bundesbürger aufzumischen. Damals wollte zwar kaum einer zugeben, je einen Kolle-Film gesehen zu haben, aber irgendwo müssen die rund 50 Millionen Zuschauer von Filmen wie „Das Wunder der Liebe“ oder „Deine Frau, das unbekannte Wesen“ ja hergekommen sein. Und weil Oswalt Kolle übermorgen 70 wird und Kalenderjournalismus derzeit läuft wie Harry, hat Tilman Jens den Jubilar flugs porträtiert. Wobei schon der Untertitel („Momentaufnahmen einer fidelen Safari“) den latent ironischen Tonfall vorgibt.
Während der Off-Kommentator bisweilen leicht gedrechselt daherkommt („Auf der Jagd ist er noch immer“), entbehrt manch O-Ton von ehemaligen Fahrtensleuten wie Beate Uhse („Wir haben uns gegenseitig befruchtet“) durchaus nicht der Komik. Und Günter Amendt gibt sein gespaltenes Verhältnis zum Kollegen Kolle zu Protokoll, indem er dem bekennenden Bisexuellen vorhält, in seinen Filmen an der Institution Ehe nie gerüttelt zu haben, ergo angesichts der 68er-Utopien doch eher Biedermann denn Brandstifter gewesen zu sein. Aber das Salz in der Suppe sind natürlich all die putzigen Ausschnitte aus echten Kolle- Filmen, in denen sich Paare zu Geigenklängen auf Flokatis räkeln und anschließend das tun, was heute in vielen Beziehungen die eheliche Beiwohnung komplett ersetzt haben soll: drüber reden!
War Oswalt Kolle also doch ein Erfüllungsgehilfe der 68er, indem er den endlosen Diskurs aus der akademischen Enklave befreite und ihn in die eheliche Bettstatt verlängerte? Möglich. Aber dazu schweigt der Jubilar auf seinem Hochsitz, weiß aber dann doch noch was zur frappierenden Affinität von Jägerei und Sex zu sagen: „Das Warten ist wichtig, nicht der schnelle Akt.“ Reinhard Lüke
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen