■ Vorlauf: Last Exit
„Schatten über der Stadt“, Do., 23.00 Uhr, ZDF
Vor ihrem Eigenheim in Dietzenbach bei Frankfurt hat Ingar Voigt sich ein hübsches Gärtchen angelegt. So rechte Freude daran will aber nicht aufkommen. In unmittelbarer Nachbarschaft ragen mächtige Wohnblöcke in die Höhe, die in den vergangenen Jahren zu einem multikulturellen Ghetto heruntergekommen sind: Last Exit Dietzenbach.
Die Situation einer Hausbesitzerin, deren Immobilienwert vom benachbarten Ghetto vernichtet wird, nimmt Martin Keßlers Reportage „Schatten über der Stadt“ nun nicht zum Anlaß, sich auf die reaktionäre Seite zu schlagen, derzufolge Armut den Ausblick aus begrünten Vorgärten trübt. Dennoch wird hier modellhaft deutlich, daß Armut nicht nur eine Sache der Armen ist. Maximaler Wohnraum auf minimaler Fläche – früher ein Renditeparadies für geldgeile Miethaie – hat durch Zusammenpferchung von über 5.000 Ausländern aus über 90 Nationen zu einer drastischen Verslumung geführt. Der dadurch erfolgte Bankrott des Anlegers ist wiederum modellhaft für die gesamte Gesellschaft, wie der Berliner Soziologe Häussermann erläutert: Durch den Abbau von Industriearbeitsplätzen wird ein wachsender Teil der Bevölkerung nicht mehr gebraucht. Wird diesen Menschen keine Brücke ins „normale“ Leben gebaut, werden sie zu einem reinen Kostenfaktor: Sie zahlen keine Steuern und kosten nur Sozialhilfe.
Keßlers Reportage ist dennoch keine Litanei der Betroffenheit. In Gesprächen mit Vermietern, Gerichtsvollziehern und Sozialarbeitern setzt Keßler den Schwerpunkt „Selbstheilungskräfte“: Projekte wie das „Nachbarschaftsfernsehen“ in Dietzenbach, das eine Verständigung der Mieter über Mißstände ermöglicht, oder die Gemüsegärten, die Mieter vor dem Hamburger Armenhochhaus Bergedorf-West anlegen. Ein Gewerbepark soll die marode urbane Stuktur etwas aufpäppeln. Dokumentiert werden vielfältige Formen urbaner Kreativität, die dem unvermeidlichen Einzug amerikanischer Verhältnisse zumindest teilweise entgegenwirkt. Manfred Riepe
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