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■ VorlaufKettenreaktion

„Die Todesfahrt des ICE 884“, 20.15 Uhr, ZDF

Das ist das Medienzeitalter: Zwar fand die Bahn AG den Riß im Radreifen des ICE 884 nicht, weil das Fahrgestell nur per Augenschein gewartet wurde, aber die letzten vier Sekunden der Unglücksfahrt können nun in 3D-Qualität visualisiert werden. Insgesamt dreimal zeigt die Dokumentation „Todesfahrt des ICE 884“, wie sich langsam der Radreifen am hinteren Drehgestell von Wagen 1 löst, in den Radlenker geschleudert wird, sich dort verhakt, schließlich eine Weiche erfaßt, die sich in das Wageninnere von Waggon 5 bohrt. So echt wirkt die Animation, daß man – Gott bewahre! – fast glaubt, dabeigewesen zu sein.

101 Reisende, die am 3. Juni 1998 tatsächlich im Zug saßen, starben. Unter den Überlebenden auch die sechs Zeugen, die sich dem Film von Mona Botros nun zur Verfügung stellen. Sie berichten über dieselben vier Sekunden, lassen ihre eigene Rekonstruktion entstehen, sind aber nur Randfiguren des Films. Kühl konzentriert sich Botros auf die Fakten: Wie viele Helfer verzweifelten bei der Bergung an den nicht aufzuschneidenden ICE-Fenstern? Was bleibt der Rechtsmedizin zur Identifizierung der Toten, wenn ab Tempo 100 das Gewebe „bei einem plötzlichen Aufprall keine Tolerenz“ mehr hat, die Gefäße reißen, Gesichter nicht mehr erkennbar sind? Der Beitrag recherchiert minutiös physikalische Zwangsläufigkeiten, fahrlässigen Kostendruck und technische Fehlannahmen. Vier Meter tief bohrten sich die Koffer in den Boden. Noch so eine Wahnsinnszahl. „Eschede“, das ist hier der Schrecken des „technischen Versagens“. Das schreckliche Leid der Opfer kommt nur noch wie ein Folgefehler daher. Reinhard Gehringer verlor in Eschede seine Frau und zwei Töchter. Aber die quälende Frage „Warum ausgerechnet an diesem Tag, dieser Zug, dieses Rad, diese Weiche und dann auch noch die Brükke?“ kann ihm sowieso niemand beantworten. Bleiben also die Zahlen und Fakten. 101 Tote, darunter zwölf Kinder. Auch die Trauer wird so zu einem Teil der Beweiskette. Klaudia Brunst

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