■ Vorlauf: Rührender Beistand
„Liebe ist stärker als der Tod“, 20.15 Uhr, RTL
O tempora, o mores! Das Fernsehen schreckt vor nichts zurück. Sex allein oder zu dritt, das reicht nicht mehr, jetzt muss es schon Beischlaf mit Toten sein – und das zur besten Sendezeit.
Ist solcherlei Tun nicht strafbar, ist das nicht Störung der Totenruhe? Doch, doch, in der Tat sagt das Gesetz: „Wer unbefugt am Körper eines verstorbenen Menschen beschimpfenden Unfug verübt“, muss mit Freiheitsstrafe rechnen (§ 168 StGB).
Der juristisch bewanderte Sender RTL versuchte deshalb zu verschleiern, was in seinem heutigen „TV-Roman“ passiert. Im Pressetext wird lediglich verraten, dass eine gewisse Judith die letzten Stunden „am Bett“ ihres dahinscheidenden Lovers verbringt. Was dann geschieht, erfährt man zwischen den Zeilen: „Voller Verzweiflung entschließt sie sich, ihrer großen Liebe Bestand zu geben. Judith wird schwanger.“
Natürlich hofft der Sender, die Andeutung möge genügen, möglichst viele Menschen vor die Fernseher zu locken. Doch wer sich schockierende, vielleicht gar gruslig-eklige Szenen erhofft, der wird enttäuscht sein: Erst am Schluss kommt es zum Sex mit dem (Halb-)Toten – und auch der letzte Akt im Krankenbett ist so klinisch rein wie der ganze Film.
Mit der schaurig-schönen Liebhaberin kalter Leichen aus dem kanadischen Independentstreifen „Kissed“, die ihren Freund erst lieben kann, als er tot ist, hat Judith nichts gemein.
Voll befriedigt werden allerdings Freunde hollywoodesker Schmonzetten. Wie in „Message in a Bottle“ erleben die beiden Protagonisten schöne Stunden voller Zärtlichkeit am Meeresstrand, die vom tragischen Tod des Mannes jäh beendet werden. Wie in der „Stadt der Engel“ schwebt die hübsche Judith erst im siebten Himmel und will dann den Verlust ihres sanften Geliebten nicht wahrhaben. Wer auf Weichzeichner steht, nichts gegen Melodramen hat und sich gern auf gut gemachte Märchen einlässt, glaubt am Ende wirklich, dass „die Liebe stärker ist als der Tod“. Ich gebe zu, ich habe geweint. Lukas Wallraff
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