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Vorlage für Lafontaine

Zum Wahlausgang in Niedersachsen  ■ K O M M E N T A R

Knapp und allen Widrigkeiten zum Trotz hat es Gerhard Schröder im zweiten Anlauf nun doch noch geschafft: Der einstige Oppositionsführer, lange genug vom Pech verfolgt, darf nun den in 14 langen (Skandal-)Jahren verschlissenen Ernst Albrecht ablösen. Siegeswiß war die SPD in Niedersachsen noch vor einem Jahr gewesen, doch je näher der Wahltermin rückte, um so mehr ging es Schlag auf Schlag gegen sie: Die deutsch-deutsche Euphorie, die die niedersächsischen Skandale scheinbar vergessen machte. Das für die SPD katastrophale DDR-Ergebnis zum Wahlkampfauftakt tat ein übriges. Der Einsatz von Rita Süssmuth in Niedersachsen und schließlich das Attentat auf Oskar Lafontaine, der Schröder ganzes Wahlkampfkonzept zur Makulatur machte. Gerettet hat den einstigen Juso -Bundesvorsitzenden dann am Ende gerade noch die niedrige Wahlbeteiligung und der lahme Wahlkampf, der das Ausfransen der CDU am rechten Rand begünstigte.

So ist die Niedersachsenwahl doch noch zu einer Steilvorlage für Oskar Lafontaine geworden. Gegen den Widerstand der SPD wird in Zukunft im Bundesrat nun nichts mehr gehen und die erste Probe aufs Exempel werden die Entscheidungen in der Ländervertretung über das Vertragspaket zur Wirtschafts- und Währungsunion werden. Wenn Oskar Lafontaine will, wenn er tatsächlich andere deutschlandpolitische Konzepte als Helmut Kohl hat, dann kann er in Zukunft die Deutschlandpolitik über den Bundesrat bestimmen. Die Maulerei von Jochen Vogel, daß Helmut Kohl ihn beim deutsch-deutschen Händel nicht beteilige, hätte als SPD-Politik ausgedient. Über alle wichtigen bundespolitischen Fragen wird auch im Bundesrat enschieden. Oskar Lafontaine hat jetzt Gelegenheit, sich über den Bundesrat als inhaltlicher Widerpart des Bundeskanzlers zu profilieren und als Politiker, an dem Helmut Kohl nicht mehr vorbei kann. Der hoffentlich bald gänzliche genesene Ministerpräsident des Saarlandes hat nunmehr für die Bundestagswahl die besten Chancen. Er wird beweisen müssen, ob die nebulösen SPD-Parolen von „sozialer Gerechtigkeit“ von der deutschen Einheit, die „nicht zum Sozialabbau“ führen darf, genug an Substanz enthalten.

Jürgen Voges

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