Vorläufige Bilanz der BP-Ölpest: Eine einzige Katastrophe
Die Räumungsarbeiter ziehen langsam ab. Doch das Öl und der Schaden bleiben. Die Fischer: arbeitslos. Die Umwelt: verseucht. Die US-Regierung: abhängig von BP.
WASHINGTON taz | Krabbenfischer Acy Cooper hat eine mit Öl gefüllte Flasche zu der Versammlung in Venice im Mississippidelta mitgebracht. Das Öl hat er letzte Woche in dem benachbarten Feuchtgebiet eingesammelt. In seinen früheren Fischgründen. Der aus Washington zu der Versammlung mit Betroffenen angereiste Golfküstenbeauftragte Ray Mabus soll sehen, dass die schwarze Pest noch keineswegs vorbei ist.
In den Monaten zuvor hat der Mineralölkonzern BP die Boote von 2.800 Fischern gechartert, um die Armada von insgesamt 5.050 Rettungsbooten im Golf von Mexiko zu verstärken. Seit vergangener Woche ist nur noch etwas mehr als die Hälfte der gecharterten Fischerboote im Einsatz. Acy Cooper ist einer von denen, die BP nicht mehr zu brauchen meint. Er soll wieder fischen. Aber Cooper fürchtet, dass das Öl seine Netze zerstört. Und dass seine Krabben die Verbraucher krank machen könnte.
Die Küstenanwohner von Louisiana, dem am stärksten von der Katastrophe betroffenen Golfstaat, wo das Öl auf 610 Kilometer Küste geschwappt ist, fürchten in diesen Tagen noch stärker um ihre Zukunft als in den Wochen zuvor.
Die Kosten: Die Ölpest im Golf von Mexiko hat den britischen Konzern nach eigenen Angaben bislang mehr als 6,1 Milliarden Dollar (rund 4,6 Milliarden Euro) gekostet. Darin enthalten sind Ausgaben für die Entlastungsbohrungen, die Versiegelung des defekten Bohrlochs, Aufräumarbeiten und erste Entschädigungszahlungen an Betroffene. Letztere allein schlagen mit 319 Millionen Dollar zu Buche. Bis zum Wochenende seien 145.000 Schadenersatzforderungen eingegangen, 103.900 wurden bereits befriedigt, teilte BP am Montag mit.
Das Rohöl: Nach der Explosion der Bohrplattform am 20. April flossen zwölf Wochen lang mehr als 780 Millionen Liter Rohöl ins Meer, bis das defekte Bohrloch am 15. Juli mit einer riesigen Kappe provisorisch abgedichtet werden konnte. Bei der Havarie der "Exxon Valdez", die 1989 vor Alaska auf Grund lief, ergossen sich 40 Millionen Liter Öl ins Meer. (apn)
Und auch in den Nachbarbundesstaaten Mississippi, Alabama und Florida erleben die Menschen, dass BP am Telefon nicht mehr auf Schadenersatzforderungen reagiert. Dass immer weniger Räumungsarbeiter an den Stränden und in den Häfen sind. Dass die Ü-Wagen der großen Fernsehsender abreisen. Und dass sie allein zurückbleiben: mit dem Öl; mit ihrer Arbeitslosigkeit; mit ihren Häusern, für die sie die Raten nicht mehr zahlen können; und mit der schweren Seele von Leuten, die nicht wissen, wie ihre Zukunft aussieht.
"Kümmert euch um uns", fleht der vietnamesische Fischer Phuong Nguyen aus Louisiana bei der Versammlung den Politiker aus Washington an: "Hier wird es Elend geben, Scheidungen und Selbstmorde."
Der Mineralölkonzern BP verbreitet seit dem 15. Juli positive Nachrichten. Auf der wegen der Ölkatastrophe geschaffenen Homepage mit dem gelb-grünen Logo des Konzerns taucht jetzt das Wort "Erfolg" auf. Die Rede ist auch von "Zukunft" und "ökologischer Instandsetzung".
Am 87. Tag nach der Explosion der Ölbohrplattform "Deepwater Horizon" ist es gelungen, das Loch in 1.500 Meter Tiefe provisorisch zu stopfen. Seither strömt kein neues Rohöl mehr in eines der artenreichsten Gewässer der Welt. Und seitdem ist der provisorische Deckel am Meeresboden fest zementiert.
In dieser Woche - voraussichtlich bis Freitag oder Samstag – soll eine Ersatzbohrung bis zu der Ölquelle im Macondo-Graben getrieben werden. Von dort aus will BP die Quelle von unten mit Zement und Schlamm versiegeln. Falls das gelingt, ist auch der bislang noch skeptische Admiral Thad Allen von der Küstenwache, der die Rettungsarbeiten auf staatlicher Seite beaufsichtigt, bereit, von einem "Erfolg der ersten Phase" zu sprechen.
Doch von Washington aus hat der oberste US-Amerikaner bereits Entwarnung gegeben. Schon am 106. Tag der Katastrophe erklärte Barack Obama, das Loch sei versiegelt. Der US-Präsident hat viel unternommen, um sich im Umgang mit der "größten Umweltkatastrophe der US-Geschichte" von seinem Amtsvorgänger abzusetzen. George W. Bush hatte im Sommer 2005 zu lange gebraucht, bis er sich um die Opfer des Hurrikans "Katrina" interessierte. Obama dagegen ist sofort in die Golfstaaten gereist. Er hat mit BP-Verantwortlichen, Lokalpolitikern und Wissenschaftlern konferiert. Und er hat öffentlich sowohl gegen die "britische" Gesellschaft gewettert als auch - lange vor dessen Absetzung - erklärt, er würde jemanden, der so "unfähig" sei wie BP-Chef Tony Hayward, "feuern".
Kurz vor Obamas Entwarnung veröffentlichte auch das Nationale Ozeaninstitut (NOAA) eine Studie, die sich gegenüber vorherigen Befürchtungen harmlos ausnimmt. Danach ist eine große Menge des Öls im Golf von Mexiko "verschwunden". Das meiste Öl sei "verdunstet" oder habe sich "verdünnt" oder "abgesenkt". Zudem sei Öl an der Meeresoberfläche abgefackelt oder eingesammelt worden. Nur 26 Prozent der ausgeströmten Ölmenge seien jetzt noch aktiv.
Auch die Umweltberaterin von Präsident Obama, Carol Browner, kommentierte, dass "Mutter Natur" einen großen Teil der Arbeit erledigt habe. Tatsächlich scheint der größte Reinigungseinsatz der US-Geschichte, in dem neben der Armada von Schiffen und Flugzeugen zeitweise mehr als 30.000 Reinigungsarbeiter an Land, zu See und in der Luft tätig waren, nur relativ wenig ausgerichtet zu haben. Den größten Teil der bisherigen Arbeit haben die Selbstreinigungskräfte des Golfs getan.
Vor allem Bakterien, die in dem warmen Wasser leben, in das aus dem stellenweise porösen Seeboden schon immer kleine Mengen Öl gesickert sind. Einflussreich waren auch die starken Strömungen, die den Dreck aus dem Golf im Atlantik verteilen. Der Golfstrom, in den der Mississippi einen großen Teil des Industrie- und Landwirtschaftsmülls aus den USA einleitet, ist "stressfähig" und "belastbar", sagten die Meeresbiologen lange vor dieser Ölkatastrophe.
Dennoch sagten unabhängige Wissenschaftler, die weder im Dienst von BP noch des NOAA stehen, es gebe keinen Grund zur Entwarnung. Sie argumentieren, dass 26 Prozent der Rohölmenge aus der "Deepwater Horizon"-Quelle immer fünfmal so viel Öl ist, wie 1989 vor Alaska aus der "Exxon Valdez" ausgelaufen war. Und sie erklären, dass das Bindemittel Corexit, das BP und die US-Küstenwache im Golf in nie zuvor da gewesenen Mengen eingesetzt haben, das langfristige Umweltproblem eher verschlimmere.
1.457 Millionen Liter des Mittels, das das Öl bindet und in kleinen Portionen absenkt, sind in den Golf von Mexiko gesprüht worden. Die wissenschaftliche Kritik konzentriert sich vor allem auf jenen Teil des Corexit (mehr als ein Drittel der verwendeten Menge), der in 1.500 Meter Tiefe, direkt an der Austrittsstelle des Rohöls, eingeleitet wurde. Es ist umstritten, wie stark toxisch der Cocktail aus Rohöl und Corexit auf Lebewesen und Pflanzen wirkt. Aber es ist völlig unklar, welche Art von Reaktionen die Verbindung der beiden Chemikalien in der Kälte am Meeresboden verursacht.
Auch in der US-Umweltbehörde (EPA), die den Einsatz von Corexit bewilligt hat, ist das Bindemittel umstritten. Die EPA-internen Kritiker befürchten Langzeitauswirkungen auf Schalentiere im Golf, deren Verzehr die Gesundheit der US-Amerikaner gefährden könnte. Ein Vorwurf an die Umweltbehörde EPA lautet, dass sie nicht auf die Einhaltung ihrer Empfehlungen an BP bestanden habe. Ende Mai entschied die EPA, den Corexit-Einsatz radikal zu reduzieren. Doch der Mineralölkonzern versprühte weiter Corexit.
Bei der Explosion vom 20. April kamen elf BP-Arbeiter ums Leben. Als Zweites erlebte die Öffentlichkeit, dass die Mineralölbranche, die Hightechmethoden entwickelt hat, um Öl aus immer größerer Tiefe und immer weiterer Entfernung vom Festland zu fördern, nichts vorgesehen hatte, um auf einen Unfall zu reagieren. Als Drittes zeigte sich eine ungeahnte Schwäche des mächtigsten Staates der Welt gegenüber einem großen Mineralölkonzern.
BP ignorierte in den Wochen und Monaten vor der Katastrophe zahlreiche Warnungen auf der Ölbohrplattform, aber BP ist nach der Explosion Hauptakteur im Golf geblieben. Anders als die staatlichen Stellen verfügt BP über das Know-how, das Personal, das Material und die finanziellen Mittel, um die Reinigungsarbeiten zu organisieren.
Die US-Spitze folgte BP, auch als der Konzern die Öffentlichkeit täuschte. In den ersten Monaten nach der Katastrophe machte sich die US-Regierung auch die Angaben aus der BP-Zentrale zu eigen, die den Ölaustritt extrem verharmlosten.
Sichtbar wurde auch, wie weit die Korruption geht. Die Mineralölbehörde (MMS), die die Aufgabe hatte, die Bohrungen zu überwachen und die Tantiemen von den Ölkonzernen einzutreiben, steckte mit BP unter einer Decke. Es gab in der MMS schon erste Entlassungen. Und die Institution ist aufgespalten worden.
Eine weitere Schwäche der US-Regierung war ihre Loyalität gegenüber der Ölindustrie. Erst wenige Wochen vor der Katastrophe hatte Obama der Ausweitung von Tiefseebohrungen zugestimmt. Sein Ziel war es, damit die Unterstützung der oppositionellen Republikaner zu seinem neuen Klimagesetz zu bekommen.
Doch die Explosion der "Deepwater Horizon" hat auch die neue Klimapolitik mit in die Tiefe gerissen. Im Golf von Mexiko sorgt das sechsmonatige Moratorium für Tiefseebohrungen, das die Regierung nach der Katastrophe verhängt hat, für Verbitterung. Insbesondere im Ölstaat Louisiana gilt das Moratorium, für das Obama verantwortlich ist, als eine zusätzliche Katastrophe. Im Kongress ist das neue Klimagesetz Ende Juli gescheitert. Nicht nur Republikaner haben es verhindert. Auch demokratische Abgeordnete vom Golf haben dagegen gestimmt. Der Lobbyismus der Ölbranche hat sich wieder einmal gelohnt.
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