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Vorbild und Komplize

Fußabdruck Ist die Natur revolutionär oder eher sanft? Darüber – und den Welterforscher Georg Forster – diskutieren im „Philosophischen Café“ der Chemiker Michael Braungart und der Philosoph Jürgen Goldstein

Weniger um Forsters Biografie als um seine Gedanken-spuren dürfte es gehen

von Petra Schellen

Sind Revolutionen Naturereignisse? Werden Öko-Revolution oder Öko-Crash mit der gleichen Unentrinnbarkeit passieren wie ein Vukanausbruch? Georg Forster, Entdeckungsreisender, Naturforscher und Revolutionär des 18. Jahrhunderts, war auf verschiedensten Reisen in Arktis und Antarktis zu diesem Schluss gekommen. Und wenn er auch nicht der Erste mit solchen Ideen war, vertrat er sie doch besonders radikal.

Dabei hatte Forster eigentlich als Reiseautor angefangen, in einem Mix aus reflexivem Essay und akribischer Dokumentation Pflanzen, Tiere und Menschen beschreibend, denen er etwa auf seiner dreijährigen Weltumseglung mit James Cook begegnete. Und es entsprach durchaus nicht dem damaligen Mainstream, dass er etwa die Ureinwohner Polynesiens nicht als „edle Wilde“ betrachtete, sondern die verschiedenen Gesellschaften miteinander und mit der europäischen verglich; die schnitt dabei nicht immer gut ab.

Vielleicht hat ihn dieses Unbehagen an der europäischen Zivilisation zum Jakobiner werden lassen: 1793 rief er im – von der französische Revolutionsarmee besetzten – Mainz die erste auf bürgerlich-demokratischen Prinzipien basierende Republik auf deutschem Boden mit aus. „Ich bin für Deutschland verloren“, hat der flammende Polit-Redner Forster damals geschrieben. Und das war er wirklich, denn als er nach Paris reiste, um die Annexion der „Mainzer Republik“ durch Frankreich zu beantragen, hatten preußische Truppen Mainz bereits zurückerobert und verfolgten die Jakobiner.

Auch über Forster wurde die „Reichsacht“ verhängt, er konnte nicht zurück, starb allein und verarmt in Paris. Wo er zudem in seinen letzten Lebenswochen miterlebte, dass die Revolution nicht, wie er vermutet hatte, „natürlicherweise“ die Freiheit brachte, sondern den Terror.

Eine Geschichte des Scheiterns, die Reinhard Kahl, Gastgeber im Philosophischen Café des Literaturhauses, nun an anderem Ort mit Jürgen Goldstein erörtern wird, dessen Buch „Georg Forster – Zwischen Freiheit und Naturgewalt“ den Preis der Leipziger Buchmesse bekam. Sie werden dabei weniger Forsters Biografie als seinen Gedankenspuren folgen und vielleicht eruieren, warum sich seine Ideen nicht mit der Realität vertrugen.

Eher sanft als revolutionär kommen die Visionen des zweiten Diskutanten des Abends daher: Der Chemiker Michael Braungart möchte die Natur eher zum Komplizen machen und ihre Intelligenz und Resilienzfähigkeit nutzen, um der Zerstörung Einhalt zu gebieten. Man müsse nicht den ökologischen Fußabdruck verringern, sondern durch öko-effektive Produkte nutzbar machen, findet Braungart. Müsse nach dem „Cradle to Cradle“-Prinzip“ Rohstoffkreisläufe schaffen, die Mensch und Natur gleichermaßen nützen.

Und das am besten, bevor sich die Natur, Forster gemäß, durch Sturmfluten zumindest ihre eigene Freiheit zurückertrotzt.

„Die Entdeckung und Wiederentdeckung der Natur“: Do, 19. 5., 19 Uhr, Freie Akademie der Künste

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