Vorbild Tübingen: Kampf dem Wegwerfmüll
Tübingens Oberbürgermeister Boris Palmer hat eine Steuer auf Einwegverpackungen eingeführt – andere Städte wollen nun nachziehen.
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A lle, die auf deutschen Gehwegen nicht Schritt auf Tritt über Kaffeebecher stolpern wollen, sollten Boris Palmer dankbar sein. Vor drei Jahren hat der Oberbürgermeister in Tübingen eine Verpackungssteuer eingeführt, eigenmächtig natürlich. Nach einer Klage von McDonald’s hat nun das Bundesverfassungsgericht höchstrichterlich geurteilt: Der Alleingang war rechtens.
Damit könnte der Weg für weitere Städte in Deutschland frei sein, der zunehmenden Vermüllung durch Einwegbecher, Pommesschalen und Plastikgabeln den Kampf anzusagen. Nach Angaben der Deutschen Umwelthilfe stehen bereits zahlreiche Kommunen in den Startlöchern. Anders als Boris Palmer wollten sie Rechtssicherheit. Die haben sie nun.
Tübingens Steuer geht so: Bietet zum Beispiel ein Imbissbetreiber keine Mehrwegverpackung für Pommes und Co. an, werden die Pappschale und der Einwegbecher für den Kaffee danach mit 50 Cent besteuert. Einwegbesteck kostet 20 Cent. Nicht bei den Verbraucherinnen und Verbrauchern, also der Nachfrageseite setzt diese „Lenkungssteuer“ an, sondern auf der Angebotsseite. Die macht mit oder gibt die Preise weiter.
Aus dem Stadtbild verschwunden
Und das zeigt Wirkung. Einwegbecher aus Pappe oder Plastik seien aus dem Stadtbild verschwunden, hatte die für die Steuer zuständige Tübinger Mitarbeiterin bereits im November bei einer Sitzung des Umweltausschusses im Berliner Abgeordnetenhaus berichtet. Die Grünen, die die Tübingerin eingeladen hatten, konnten sich mit ihrem Antrag, auch in Berlin eine Verpackungssteuer einzuführen, dennoch nicht durchsetzen. CDU-Umweltsenatorin Ute Bonde sagte, man warte auf eine bundeseinheitliche Regelung. Nach Angaben des BUND lässt der Berliner Senat damit Einnahmen von 40 Millionen Euro jährlich auf der Straße liegen.
Denn die Regelung im Bund lässt auf sich warten, obwohl mit Steffi Lemke eine Grüne das Bundesumweltministerium leitet. Lemke hat immer wieder auf die Pflicht der Gastronomie verwiesen, Mehrwegverpackungen anzubieten. Statt auf die Angebotsseite setzte sie auf die Nachfrageseite und auf Freiwilligkeit.
Zumindest in Berlin ist diese „Mehrwegangebotspflicht“ allerdings krachend gescheitert. Aber auch in anderen Städten hat die Deutsche Umwelthilfe bei Stichproben festgestellt, dass die Gastronomie keine Recup-Becher und -Assietten zum Wiederverwenden anbietet. Die Berliner SPD-Fraktion kann sich darum inzwischen vorstellen, beim Instrumentenkasten ein Regal höher zu greifen: Sie fordert den schwarz-roten Senat auf, die Einführung einer Verpackungssteuer zu prüfen.
Andere Städte sind schon weiter. In Bremen hat die grüne Umweltsenatorin Kathrin Moosdorf angekündigt, die Steuer nach dem Karlsruher Urteil umsetzen zu wollen. Der Senat der Hansestadt erwartet Einnahmen von vier Millionen Euro im Jahr.
Dass die Kommunen tatsächlich an eine lenkende Wirkung der Steuer glauben, zeigt das Beispiel Heidelberg. Auch dort wurde auf das Urteil aus Karlsruhe gewartet. „Die Verpackungssteuer ist ein Baustein, um die Menschen zum Umstieg auf Mehrwegverpackungen, zum Beispiel beim Mittagessen, zu motivieren“, sagt Oberbürgermeister Eckart Würzner (parteilos). „Damit reduzieren wir das Müllaufkommen im öffentlichen Raum und verbessern das Stadtbild.“
Nicht nur jene, die nicht über Pappbecher stolpern wollen, sind Boris Palmer offenbar dankbar, sondern auch die Bürgermeisterinnen und Bürgermeister. Erst recht, wenn mit einer neuen Bundesregierung eine einheitliche Regelung gänzlich von der Agenda verschwinden sollte.
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