Vor der Wahl in Irland: Die irische Groko muss zittern
Ein Eklat der irischen Partei Fine Gael lässt ihre Umfragewerte absacken. Werden die beiden Regierungsparteien auf Sinn Féin angewiesen sein?
Ein Blick auf die Versprechen vor den Wahlen 2020 zeigt, was davon zu halten ist. Mietpreisbremse und Bereitstellung erschwinglicher Wohnungen, Bekämpfung der Klimakrise, Steuerreform und Verbesserungen des Gesundheitswesens, um die langen Wartezeiten auf Operationen zu verkürzen, klangen zu gut, um wahr zu werden. Nicht einmal die versprochene App zur Meldung von Schlaglöchern wurde eingeführt.
Die beiden konservativen Regierungsparteien Fianna Fáil („Soldaten des Schicksals“) und Fine Gael („Stamm der Gälen“) haben das Land seit der Gründung vor gut hundert Jahren abwechselnd regiert, mussten zuletzt aber mangels absoluter Mehrheit eine große Koalition eingehen.
Diese liegen nun Umfragen zufolge Kopf an Kopf mit der größten Oppositionspartei Sinn Féin („Wir selbst“), dem ehemaligen politischen Flügel der inzwischen aufgelösten Irisch-Republikanischen Armee (IRA). Alle drei kommen jeweils auf rund 20 Prozent – für Fine Gael ein Schock, lag man doch vor zwei Wochen noch bei 25 Prozent. Aber dann leistete sich Premierminister Simon Harris einen Fehltritt. Er bügelte eine Sozialarbeiterin, die sich über die Regierungspolitik beschwerte, bei einem Wahlkampfauftritt brüsk ab.
Kein grüner Zweig für die Grünen
Sinn Féin hat sich hingegen vom Tief bei den Europawahlen im Juni, bei denen die Partei auf 12 Prozent abgesackt war, etwas erholt, wohl weil sie auf einen harten Kurs gegenüber Asylbewerbern eingeschwenkt ist.
Die Grünen, der kleine Koalitionspartner der beiden konservativen Parteien, werden bei den Wahlen wohl auf keinen grünen Zweig kommen. Die Steigbügelhalter sind bisher noch immer zwischen den großen Parteien zerrieben worden.
Ob es ohne sie für eine große Koalition reicht, ist zweifelhaft. Sowohl Micheál Martin von Fianna Fáil als auch Regierungschef Simon Harris von Fine Gael schlossen eine Koalition mit Sinn Féin aus. Allerdings hatte Martin vor den vergangenen Wahlen auch vehement eine Koalition mit Fine Gael ausgeschlossen. Es gibt eine oft benutzte Standardformulierung, mit der man jede Kehrtwende erklären kann: „Zum Wohle des Landes.“
Bei den Wahlen treten auch 60 einwanderungsfeindliche, rechtsextreme Kandidaten an. Das sind weniger als 10 Prozent der 685 Kandidaten, aber deutlich mehr als bei den letzten Parlamentswahlen, als die extreme Rechte nicht mehr als eine Randerscheinung war. Die Parteien, die diesmal ein Bündnis eingegangen sind, wollen das mäßige Ergebnis, das sie bei den Kommunalwahlen im Juni erzielt haben, verbessern.
Abschiebungen in großem Stil
Die Einwanderung, damals noch Thema Nummer Eins bei den Wählerinnen und Wählern, ist allerdings inzwischen an die vierte Stelle gerückt. Das dürfte daran liegen, dass die Koalitionsregierung ihren Kurs gegen Asylbewerber verschärft hat und im großen Stil abschiebt. Im vergangenen Monat beantragten nur 1.053 Menschen in Irland Asyl, was einem Rückgang von 48 Prozent seit April letzten Jahres entspricht.
Wann das amtliche Wahlergebnis feststehen wird, ist ungewiss. Beim irischen Wahlsystem, einer Sonderform der proportionalen Repräsentation, macht man kein Kreuzchen, sondern nummeriert die Kandidaten in der Reihenfolge der Präferenz.
Hat ein Bewerber die erforderliche Quote überschritten, werden die überschüssigen Stimmen auf die Kandidaten zweiter Wahl übertragen. Genauso verfährt man mit den Stimmen der abgeschlagenen Kandidaten. Deshalb müssen die Stimmen manchmal mehr als 20 Mal gezählt werden. 2020 dauerte es eine Woche, bis der letzte Parlamentarier feststand.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
Vorsicht mit psychopathologischen Deutungen
US-Interessen in Grönland
Trump mal wieder auf Einkaufstour
Täter von Magdeburg
Schon lange polizeibekannt
Insolventer Flugtaxi-Entwickler
Lilium findet doch noch Käufer
Abschiebung erstmal verhindert
Pflegeheim muss doch nicht schließen
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Slowakischer Regierungschef bei Putin im Kreml