Vor den Ostermärschen: Krieg der Friedensfreunde
Kurz vor den Ostermärschen erreicht der Streit in der Friedensbewegung einen neuen Höhepunkt. Es ist ein offener Machtkampf.
BERLIN taz | Ausgerechnet kurz vor den für das Osterwochenende geplanten traditionellen Friedensmärschen erreicht der offen ausgetragene Machtkampf innerhalb der Friedensbewegung einen neuen Höhepunkt. Seit Monaten gibt es unter verschiedenen Friedensorganisationen Streit um die künftige Ausrichtung ihrer Proteste. Nun gibt es erstmals auch personelle Konsequenzen.
In dem bewegungsinternen Machtkampf geht es um die zukünftige Ausrichtung der Friedensbewegung und um die Frage, wie sich friedenspolitische Organisationen zum Verlauf des sogenannten Friedenswinters positionieren. Unter diesem Schlagwort rufen seit Herbst und nach derzeitigen Plänen noch bis zu einer Abschlussdemonstration am 10. Mai etliche Friedensorganisationen gemeinsam mit den teils heftig umstrittenen sogenannten Montagsmahnwachen auf die Straße.
Die Mahnwachen stehen anhaltend in der Kritik, weil bei verschiedenen Veranstaltungen immer wieder auch rechtspopulistische und nach rechts anschlussfähige Positionen vertreten wurden. Einer ihrer Hauptprotagonisten ist der umstrittene Medienaktivist und Exradiomoderator Ken Jebsen, der auch die letzte Runde der Auseinandersetzung befeuerte.
Ausgangspunkt war unter anderem ein taz-Interview von Mitte März, in dem der langjährige Friedensaktivist Monty Schädel gefordert hatte, die „Friedenswinter“-Kampagne umgehend zu beenden und nicht wie geplant bis zum Mai fortzuführen. In dem Interview hatte Schädel der Mahnwachenbewegung vorgehalten, nicht klar genug gegen rechte und nach rechts offene Positionen vorzugehen. Die Deutsche Friedensgesellschaft – Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen (DFG-VK), deren politischer Geschäftsführer Schädel ist, gehört zu den großen und wichtigen Friedensorganisationen in Deutschland.
Unterstützung für Friedenswinter bröckelt
Auf einer anschließenden Aktionskonferenz in Frankfurt am Main war Schädel für seine Äußerungen scharf kritisiert worden. Kaum war die Konferenz vorbei, ging der Streit erst richtig los. Auf einer Mahnwache hatte Jebsen schließlich Schädel attackiert, ihn als „Querfrontler“ und „Feind“ bezeichnet und behauptet, Schädel sei „gekauft von der Nato“. In der Rede hatte Jebsen auch gesagt, Rechtsradikale seien „das kleinste Problem in diesem Land“.
Der Dachverband der deutschen Friedensgruppen, die Kooperation für den Frieden, distanzierte sich daraufhin von Jebsen und erklärte ihre Solidarität mit Monty Schädel. „Eine solche Sprache und ein solches Denken sind Ausdruck einer politischen Kultur, die nicht die der Friedensbewegung ist“, hieß es in einer Erklärung. Die DFG-VK zog ihre Unterstützung für den „Friedenswinter“ zurück. Andere Organisationen erwägen derzeit, ob und wie sie mit dem Konflikt noch bis Mai umgehen sollen.
Die hart geführte Auseinandersetzung zeitigte inzwischen auch personelle Konsequenzen. So teilte Reiner Braun, einer der bisherigen Sprecher der Kooperation für den Frieden, mit, er wolle seine Sprecherposition vorläufig ruhen lassen, „um hoffentlich damit zu einem weiteren positiven Diskussionsverlauf beizutragen“. Braun war zuvor als einer der wichtigsten Fürsprecher des „Friedenswinters“ aufgetreten. Bei einem zentralen Koordinationstreffen am 15. April soll es nun zu einer Aussprache kommen.
Wie russlandfreundlich will man sein?
Bei der Auseinandersetzung geht es nicht allein um die Frage, wie anfällig die Bewegung für rechtspopulistische Parolen ist. Eine maßgebliche Rolle spielt vor dem Hintergrund der Ukrainekrise auch die Frage, wie russlandhörig, -freundlich oder -kritisch die verschiedenen Friedensbewegten sich geben.
So genießt etwa der deutsche Ableger des russischen Staats- und Propagandasenders Russia Today bei großen Teilen des Mahnwachenspektrums, aber auch der traditionellen Friedensbewegung einige Beliebtheit und wird teils als neue Hoffnung im Kampf für die Meinungsfreiheit gefeiert.
Das Redaktionsteam des Senders, dem kaum eine Verschwörungstheorie zu blöd ist, bezieht seinen Nachwuchs teilweise direkt aus der Bewegung. Viel Stoff für einen anhaltenden Streit – vor, während und sicher auch noch nach den für das kommende Wochenende geplanten Ostermärschen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Höfliche Anrede
Siez mich nicht so an
US-Präsidentschaftswahl
50 Gründe, die USA zu lieben
Bundestag reagiert spät auf Hamas-Terror
Durchbruch bei Verhandlungen zu Antisemitismusresolution
Grundsatzpapier des Finanzministers
Lindner setzt die Säge an die Ampel und an die Klimapolitik
Klimaziele der EU in weiter Ferne
Neue Klimaklage gegen Bundesregierung
Serpil Temiz-Unvar
„Seine Angriffe werden weitergehen“