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Vor dem SPD-Landesparteitag„Wir müssen einfach kapitulieren“

SPD-Fraktionschef Raed Saleh plädiert für Lehrer-Verbeamtung und Mietendeckel. Trotz vieler Konflikte hält er Rot-Rot-Grün weiter für die beste Koalition.

Raed Saleh im Berliner Abgeordnetenhaus, wo er seit 2011 SPD-Fraktionschef ist Foto: dpa
Interview von Stefan Alberti

taz: Herr Saleh, es wirkt so, als hätten Sie den falschen Koalitionspartner.

Raed Saleh: Wieso?

Weil bei den großen Brocken Neubau, Enteignung, Sicherheit, U-Bahn und Verbeamtung die SPD auf einer Linie mit der CDU liegt, aber mit dem nominellen Partner Linkspartei nichts geht.

Seitdem ich Politik mache, bin ich ein großer Freund einer linken Allianz. Mit meinem Heimatbezirk Spandau war ich schon vor sieben Jahren berlinweit der Erste, der ein rot-rot-grünes Bündnis gewagt hat. Da waren es einfache Themen, die uns verbunden haben. Beispielsweise dass wir die Uferwanderwege im Bezirk für alle offen halten, die Musikschule nicht verscherbeln oder dass wir die Extremismusklausel abschaffen wollten – nein, ich bin mit Rot-Rot-Grün ganz zufrieden. Von der Mentalität her sind uns Linkspartei und Grüne sehr, sehr nah.

Mentale Nähe gut und schön, aber gerade bei Alltagsdingen, die Sie da aus Spandau zitierten, funktioniert es auf Landesebene nicht bei Rot-Rot-Grün.

Aber nehmen Sie doch unser gemeinsames Projekt der Rekommunalisierung oder dass wir Liegenschaften nicht mehr nach dem Höchstpreis verkaufen und uns klar für eine weltoffene Gesellschaft und gegen Antisemitismus und Islamfeindlichkeit positionieren.

Im Interview: 

Raed Saleh,

41, wurde in Palästina geboren und kam mit fünf Jahren nach Deutschland. 2006 zog er ins Abgeordnetenhaus ein, 2011 wurde er SPD-Fraktionschef. 2014 bewarb er sich als Nachfolger des abtretenden Regierungschefs Klaus Wowereit, unterlag aber SPD-intern gegen Michael Müller. (sta)

Den Wechsel bei der Liegenschaftspolitik gab es doch schon unter Rot-Schwarz, und gegen Antisemitismus wendet sich auch die CDU.

Stellen Sie sich mal vor, wir würden denken wie die Linken oder die Grünen

Trotzdem gibt es da Unterschiede – schauen Sie doch mal, was die CDU gerade für ein Bild abgibt mit ihrem Führungsstreit.

Da hat doch die SPD das Copyright: Bei Ihnen wurde schon 2012 ein Parteichef – Michael Müller – herausgefordert und abgewählt. Aber gehen wir doch mal die großen Streitpunkte durch.

Gerne.

Fangen wir mit Neubau an: Der soll laut SPD oberste Priorität haben – aber von der Linkspartei kommt es nicht so rüber, als ob sie dafür brennen würde.

Es ist die Aufgabe der Politik, den Menschen das Leben in der Stadt so einfach wie möglich zu machen. Noch bevor der Koalitionsvertrag unterschrieben war, habe ich drei Sachen gesagt. Erstens: Berlin muss für alle bezahlbar bleiben. Mein zweiter Satz war: Denken wir auch an die Ränder der Stadt, sonst haben wir keine Chance! Und drittens: Wir müssen auch für diejenigen Politik machen, die uns nicht gewählt haben. Und ich kann Ihnen sagen: In den meisten Punkten sehe ich uns gerade auf dem richtigen Weg: beim Mietendeckel, beim Nahverkehrsplan und darin, dass wir keine Kitagebühren mehr haben und dass ab September kein Schulkind mehr in Bussen und Bahnen zahlen muss.

SPD-Lanbdesparteitag

Wohnungskrise und Verbeamtungsind die großen Themen, wenn am Samstag rund 230 SPD-Delegierte zum Landesparteitag zusammenkommen. Die Parteispitze scheint bemüht, eine Festlegung zu Enteignung und zum Volksbegehren gegen „Deutsche Wohnen & Co.“ auf den Herbst zu verschieben. Landeschef Michael Müller warnte am Dienstag vor Schnellschüssen.

Lehrer verbeamten wollte die SPD eigentlich nicht mehr. Lange forderte allein die CDU eine Rückkehr zu dieser 2004 abgeschafften Praxis. Doch nun befürwortet auch Schulsenatorin Sandra Scheeres ein Umdenken, weil den Berliner Schulen ohne Verbeamtung zu viele dringend benötigte Lehrer verloren gingen. (sta)

Lassen wir mal dahingestellt, ob es sinnvoll ist, dass diese Kostenbefreiung auch für Gutverdiener gilt – Sie haben jetzt nichts zum Neubau und der zögerlichen Haltung der Linkspartei gesagt.

Die Linkspartei ist bemüht …

„war stets bemüht“ steht auch in Arbeitszeugnissen, wenn einer nichts auf die Reihe bekommt.

So meine ich es ja auch. Sie ist bemüht, bei dem Thema voranzukommen, doch es reicht nicht aus. Wir brauchen beschleunigte Verfahren, bessere Abläufe zwischen Bezirk und Land – wir müssen bauen, bauen, bauen. Das steht aber nicht im Widerspruch dazu, die Mieten zu deckeln und Wohnungen hinzuzukaufen. Wir brauchen diesen Dreiklang aus bauen, deckeln, kaufen, und dafür steht die SPD.

Der Mietendeckel ist für die SPD das mildere Mittel im Vergleich zu einer Enteignung, wie sie die Linkspartei fordert. Die hält einen Mietendeckel für mindestens genauso gravierend.

Das ist Quatsch. Ich habe ja schon mal gesagt, dass wir eine mietenpolitische Revolution brauchen. Irgendwann ist eine Mieterhöhung nur noch Gier, und ich möchte in meiner Stadt Berlin keine weitere Gentrifizierungswelle. Ein Gutachten, das die SPD bei zwei renommierten Juristen in Auftrag gegeben hat, sagt, dass der Mietendeckel möglich ist.

Regierungschef Michael Müller sagt zum Thema Enteignung und Volksbegehren: „Das ist nicht mein Weg.“ Er scheint aber auch intern kämpfen zu müssen: Auch für den SPD-Parteitag gibt es die Forderung nach Enteignung. Wo stehen Sie?

Ich bin bei dem Thema hin- und hergerissen. Ich habe Verständnis dafür, dass Mieter einen Hilferuf starten und sagen: Das, was die Deutsche Wohnen da macht, das geht gar nicht. Die verhalten sich nicht nur unsozial, sondern sogar asozial in dieser Stadt. Wenn die jetzt anfangen, ihre bisherige Praxis zu überdenken, dann hat die Initiative zur Enteignung ja schon was gebracht. Aber man darf den Begriff der Enteignung auch nicht zu leichtfertig in den Mund nehmen. Das führt nämlich dazu, dass viele Investoren abgeschreckt werden. Und die Initia­tive überzieht, wenn sie sämtliche Unternehmen über einen Kamm schert – es gibt durchaus gute Vermieter.

Ihre Partner bei Rot-Rot-Grün scheinen das anders zu sehen.

Gott sei Dank sind wir, obwohl wir in einer linken Koalition sind, drei unterschiedliche Parteien. Stellen Sie sich mal vor, wir würden denken wie die Linken oder die Grünen – das wäre doch kaum auszuhalten.

Noch weiter auseinander liegen Sie beim Thema Sicherheit. Die Linkspartei macht beim Polizeigesetz nicht mit, will weder Fußfessel noch finalen Rettungsschuss. Und gemäßigte Videoüberwachung, die gar nicht zu diesem Gesetz gehört, will sie schon mal gar nicht.

In einer Koalition kriegt nie die eine Seite am Ende alles. Ich gehe fest davon aus, dass wir den Knoten lösen können, wenn wir uns dazu jetzt als Fraktions­vorsitzende zusammensetzen. Die Menschen erwarten, gerade nach dem Anschlag auf dem Breitscheidplatz, dass wir mögliche Gefahren auch präventiv erkennen und beheben können. Ich bin überzeugt davon, dass die Linke am Ende in dieser Frage zur Vernunft kommt.

Wie es gerade ausschaut, laufen Sie in einen Volksentscheid zu Videoüberwachung hinein. „Auch Linken-Wähler wollen nicht Opfer werden“, hat Innensenator Andreas Geisel jüngst gesagt.

Andreas Geisel hat recht.

Das scheint die Linkspartei nicht zu beeindrucken – die Grünen schließen mehr Überwachung nicht per se aus.

Auch da glaube ich, dass man am Ende einen Kompromiss findet. Eine Stadt wie Berlin braucht maximale Freiheit, aber sie braucht auch Sicherheit, gerade wenn sie eine bunte, internationale Stadt bleiben will. Sicherheit ist nichts Negatives – Sicherheit verhindert Willkür. Bei Willkür setzt sich immer der mit den dicksten Muckis oder der größten Lobby durch – in so einem Land möchte ich nicht leben.

Kommen wir zum U-Bahn-Bau. Ihre Fraktion will ihn …

…. und 80 Prozent der Berliner Bevölkerung wollen das auch.

Doch die Koalition streitet darüber.

Die Linke ist da gar nicht das Problem, da sind es die Grünen, die aus ideologischen Gründen auf die Bremse drücken. Das kann ich nicht verstehen. Märkisches Viertel, Heerstraße-Nord – warum verlängert man da nicht um eine Station? Es ist doch nicht so, als würden wir ein komplett neues U-Bahn-Netz bauen wollen – wir reden über drei, vier, maximal fünf Verlängerungen.

Und zuletzt: Verbeamtung von Lehrern – eines der großen Themen beim Parteitag. Da haben Sie bei der Klausur der Linksfraktion minutenlang dafür argumentiert und sich dann doch nicht festlegt. Aber bei den SPD-Delegierten am Samstag müssen Sie Stellung beziehen.

Ich lege mich heute bei Ihnen fest: Wir müssen wieder verbeamten.

Und wieso?

Ich habe in Spandau im SPD-Vorstand eine Stellvertreterin, die war ganz vorne mit dabei, als wir 2004 die Lehrerverbeamtung abgeschafft haben. Die sagt mir heute: Raed, wir müssen das wieder ändern, es geht nicht anders. Und sie hat recht: Wir können nicht länger als einziges Bundesland nicht verbeamten. Ich bin mir zwar sicher, dass wir mit unserer bisherigen Haltung richtig liegen – aber wir können sie uns einfach nicht länger leisten.

Aber es gibt doch gar keine Studie dazu, wie viele Lehrer tatsächlich Berlin jährlich verlassen, weil sie anderswo, sogar gleich hinter der Landesgrenze in Brandenburg verbeamtet werden.

Natürlich bleiben mehr Lehrer hier, wenn verbeamtet wird! Ich habe viele im Freundeskreis, die in den vergangenen Jahren Lehrer geworden sind und Berlin wegen der Nichtverbeamtung verlassen haben. Das sind doch Fakten, man darf sich die Welt doch nicht schönreden. Wir brauchen diese Lehrer, wenn wir nicht – gerade auch an den Brennpunktschulen – Kinder aufgeben wollen. Wir haben diesen Kampf gegen die Verbeamtung verloren – wir müssen einfach kapitulieren.

Das sehen die Koalitionspartner anders, und das bringt uns zu der großen Frage zurück, wie es mit Rot-Rot-Grün weitergeht, wenn es so viel Uneinigkeit gibt. Das Leben in Berlin soll doch einfacher werden, haben Sie gesagt.

Wir haben doch vieles geschafft! Denken Sie nur an die Milieuschutzgebiete, wo sich die CDU konsequent verweigert. An Projekte im Flüchtlingsbereich, wo die CDU bis heute fremdelt. An den Stromnetzrückkauf, ein rotes Tuch für die CDU. Trotz aller Herausforderungen, die es mit den Koalitionspartnern gibt: Es ist und bleibt für Berlin die beste Koalition, und, ja, es ist auch ein Modell für den Bund. Mit der CDU, wie sie sich gerade prä­sentiert, möchte ich nicht ­koalieren.

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