Vor dem NSU-Prozess: „Das Vertrauen ist tief zerstört“
Vor dem NSU-Prozess haben Tausende an das Schicksal der Opfer erinnert. Das Gericht muss derweil dem Urteil des Bundesverfassungsgerichtes gerecht werden.
MÜNCHEN taz/dpa | Mehrere tausend Demonstranten haben am Samstag in München mit einem Protestmarsch der Opfer der Terrorzelle NSU gedacht. In zahlreichen Redebeiträgen und auf Transparenten forderten sie einen konsequenten Kampf gegen Rechtsextremismus und Rassismus sowie die Abschaffung des Verfassungsschutzes.
Das Mitgefühl gehöre den Angehörigen, sagte der Imam der muslimischen Gemeinde von Penzberg, Benjamin Idris, bei der Auftaktkundgebung am Stachus: „Wir fühlen und trauern mit ihnen.“ Die Opfer seien nach Deutschland gekommen, um für ihre Familien eine sichere Zukunft aufzubauen und hätten mit ihrer Arbeit zum Wohlstand Deutschlands beigetragen. „Aber Deutschland hat es nicht geschafft, sie zu schützen“, sagte Idriz. „Das Vertrauen ist tief zerstört.“
Der Prozess gegen Beate Zschäpe und vier mutmaßliche Helfer des Nationalsozialistischen Untergrunds beginnt am Mittwoch vor dem Münchner Oberlandesgericht. Noch bevor der Prozess beginnt, wurde der Senatsvorsitzende des OLG, Manfred Götzl, vom Bundesverfassungsgericht gerügt.
Nach einer Beschwerde der türkischen Zeitung Sabah muss das Gericht nun drei Plätze für türkische Medien freigeben. Das OLG hatte die 50 für Medienvertreter fest reservierten Plätze zunächst nach dem Eingang der Gesuche vergeben. Die türkischen Medien waren dabei leer ausgegangen. Einige hatten den Aufruf zur Akkreditierung später erhalten als andere Medien, wie das Gericht einräumte.
Justizskandal abgewendet
Die Bundesregierung und Politiker aller Parteien begrüßten den Karlsruher Beschluss. Der Vorsitzende der Türkischen Gemeinde in Deutschland, Kenan Kolat, sagte dem Kölner Stadt-Anzeiger: „Der Justizskandal ist damit abgewendet. Das war bitter nötig.“ Von Seiten des Gerichts gibt es noch keine Stellungnahme, wie die Platzvergabe für die türkischen Medienvertreter genau geregelt werden soll. Der Journalistenverband dju forderte ein neues Akkreditierungsverfahren. Die Entscheidung ändere nichts daran, dass es insgesamt zu wenige Presseplätze gebe, sagte Bundesgeschäftsführerin Cornelia Haß.
Zu den Opfern des NSU gehören laut Anklage zehn Morde an acht türkischstämmigen Kleinunternehmern, einem griechischen Kleinunternehmer und einer Polizistin. Die Witwe des 2005 in München ermordeten Griechen Theodoros Boulgarides sagte bei der Demonstration, ihre Familie habe unter Schock gestanden – zuerst wegen des Mordes, dann wegen der falschen Verdächtigungen. Die Ermittler hatten die Täter teils im familiären Umfeld vermutet oder die Opfer in einen Zusammenhang mit organisierter Kriminalität gebracht.
In Richtung Rechts wurde nur unzureichend ermittelt – über ein Jahrzehnt tappten die Ermittler im Dunkeln. „Fast acht Jahre später herrscht immer noch Fassungslosigkeit bei uns, auch über die rätselhaft unzulängliche Aufklärung.“ Yvonne Boulgaridis hielt ihre kurze, aber bewegende Ansprache mit tränenerstickter Stimme. Um anonym zu bleiben, sprach sie hinter einer Plane versteckt. „Ich hoffe, dass wir alle irgendwann ehrliche Antworten erhalten“, sagte sie.
„Sehr zufrieden mit dem Verlauf“
Laut Polizei kamen bis zu 5.500 Teilnehmer. Die Veranstalter – ein Bündnis aus linken Gruppen, MigrantInnenverbänden und Parteien – sprachen von 10.000 Menschen. Die Demonstration blieb bis zum Schluss friedlich. Auch von Rechts gab es keine Störungsversuche. Die Polizei zeigte sich „sehr zufrieden mit dem Verlauf“. Es habe lediglich fünf Festnahmen wegen kleinerer Delikte, wie Beleidigung und dem Verstoß gegen das Betäubungsmittelgesetz, gegeben, sagte Polizeipressesprecher Wolfgang Wenner.
Ein zu Beginn der Veranstaltung festgenommener Flüchtling, der mit der Teilnahme an der Demonstration seine Residenzpflicht verletzt hatte, wurde gegen eine Kaution wieder freigelassen, nachdem sich die Demonstranten geweigert hatten, ohne ihn loszuziehen.
Der Protestzug führte über eine 6,6 Kilometer lange Strecke durch die von vielen MigrantInnen bewohnte Hauptbahnhofgegend sowie an ehemaligen NS-Bauten am Königsplatz und am Mahnmal für das Oktoberfestattentat von 1980 vorbei. Ein ehemaliger Anhänger der „Wehrsportgruppe Hoffmann“ hatte damals 13 Menschen ermordet – bis heute gibt es Zweifel, ob er ein Einzeltäter war. Vor dem bayerischen Innenministerium hielten die DemonstrantInnen Schilder mit den Namen der Opfer rechter Gewalt hoch.
Auch am Stiglmaierplatz, unweit des Gerichtsgebäudes, machte der Zug halt. Die Rechtsanwältin Angelika Lex, die Yvonne Boulgaridis als Nebenklägerin im NSU-Prozess vertritt, sagte, das Gericht habe in diesem Verfahren die einmalige Chance, zu zeigen, dass der Rechtsstaat entschlossen sei, auch das staatliche Versagen offenzulegen und umfassend aufzuklären. „Es geht nicht nur um die Feststellung der Schuld der Angeklagten und deren Bestrafung", sagte Lex, „es geht auch um die umfassende Aufklärung der Hintergründe.“
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