Vor dem EU-Lateinamerika-Gipfel: Neue Chávez-Attacke gegen Merkel
Merkel fehle es an Vernunft. Sie solle sich "wie eine Staatsfrau" benehmen: Venezuelas Staatschef schießt erneut gegen die Bundeskanzlerin. Perus Staatspräsident verteidigt Merkel.
LIMA/CARACAS dpa Die wiederholt schrillen Angriffe von Venezuelas Präsident Hugo Chávez auf Bundeskanzlerin Angela Merkel drohen den EU-Lateinamerika-Gipfel in Peru zu überschatten. Unmittelbar vor Beginn des Treffens am Freitagnachmittag deutscher Zeit in Lima griff Chávez Merkel erneut an. Die Deutsche müsse sich "wie eine Staatsfrau" benehmen und dürfe nicht "Pfeile schießend" nach Lateinamerika kommen, sagte Chávez in Caracas kurz vor dem Abflug nach Lima. Perus Staatspräsident und Gipfel-Gastgeber Alán Garcia verteidigte nach einem Treffen mit Merkel die Kanzlerin ausdrücklich gegen die Attacken.
Auslöser für den Streit war eine Aussage Merkels, dass Chávez nicht für Lateinamerika spreche. Der linkspopulistische Präsident hatte daraufhin Merkel bereits in die Nähe von Adolf Hitler gerückt. Merkel war am Donnerstag von Brasilien nach Peru gereist. Dort hatte sie am Abend für das Modell der sozialen Marktwirtschaft geworben. Sie sei ein Wirtschaftssystem, in dem das Wachstum allen Bürgern zu Gute kommen kann. Der Lateinamerika-Gipfel, der am Freitagnachmittag deutscher Zeit beginnt und in der Nacht zum Samstag zu Ende geht, will sich auch mit der Armutsbekämpfung beschäftigen.
Merkel fehle "alles, einschließlich Vernunft", sagte Chávez vor seiner Reise zum Gipfel. Sie weise ein "merkwürdiges Verhalten auf", aber in Lima wolle er die Zusammenarbeit mit der Deutschen nicht verweigern, betonte der Venezolaner. Der Gipfel sei eine gute Gelegenheit, die Beziehungen zwischen den beteiligten Weltregionen zu vertiefen, unabhängig von der Ideologie der teilnehmenden Regierungen.
Chávez wird an einem Forum zur Armutsbekämpfung teilnehmen, auf dem Merkel zum Auftakt des Treffen ein Referat hält. Merkel hat bislang auf ihrer ersten Lateinamerika-Reise nicht direkt auf die Vorwürfe von Chávez reagiert. In Lima betonte sie in einer Rede aber ausdrücklich, dass Europa und Lateinamerika "gleichberechtigte Partner" seien. In Brasilien hatte sie gesagt, sie freue sich auf den Lateinamerika- Gipfel und werde "freundlich guten Tag" sagen.
García meinte, ihm tue leid, was Chávez über Merkel sage. Er habe keine Ideen. Schreien können man nur, wenn man auch Lösungen vorzuweisen habe. Er nahm auch Merkel gegen den Vorwurf des Neoliberalismus in Schutz. "Deutschland ist ein gerechtes Land." Neben dem Hitler-Vergleich hatte Chávez Merkel auch vorgeworfen, ihn grundlos "mit Steinen" zu bewerfen. Sie sei zudem nicht die einzige Stimme der Europäischen Union.
An dem Gipfel nehmen insgesamt 60 Staaten teil - die 27 EU-Staaten und 33 Länder aus Süd- und Mittelamerika sowie der Karibik. García ermunterte auf die Frage nach der besten Hilfe für die Armutsbekämpfung die Europäer zu mehr Investitionen auf dem Subkontinent, aber auch speziell in seinem Land. Dies schaffe Arbeitsplätze. Direkte Hilfen solle es aber auch für die Bildung geben.
In ihrer Rede in Lima auf einem Wirtschaftstreffen versuchte Merkel auch, Irritationen bei den Lateinamerikanern wegen der Vorbehalte der Europäer gegen die gegenwärtig praktizierte Herstellung von Biosprit zu beseitigen. Sie betonte, dass Europa und Deutschland grundsätzlich offen für die Einfuhr seien. Die Produktion müsse aber nachhaltig erfolgen und dürfe etwa nicht zulasten der Lebensmittelproduktion gehen.
Vorbehalte äußerte Merkel besonders gegen die Verwendung von Soja für die Biosprit-Herstellung. Soja-Anbauflächen werden nach ihren Informationen direkt durch Regenwaldabholzungen gewonnen. Anders ist hingegen die Situation bei der Verwendung von Zuckerrohr, die in Brasilien bevorzugte Biosprit-Pflanze.
Während des Besuchs in Peru wurde zwischen einem deutschen und einem peruanischen Unternehmen ein Abkommen mit einem Volumen von 400 Millionen US-Dollar (258,8 Millionen Euro) über die Bewässerung von 30.000 Hektar Wüste geschlossen. Auf der Fläche sollen in einigen Jahren ebenfalls Pflanzen für Biokraftstoffe angebaut werden.
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