Vor Gericht in Ungarn: Flüchtlingshelfer gilt als Terrorist
Ein Syrer soll 2015 per Megafon Flüchtlinge aufgefordert haben, die Grenze zu überschreiten. Nun steht der letzte Termin in seinem Revisionsprozess an.
An jenem 16. September hatte Ungarn einen Zaun an der Grenze zu Serbien fertig gestellt. Gleichzeitig war ein Gesetz in Kraft getreten, dass den illegalen Grenzübertritt unter Strafe stellt, die Höchststrafe dafür wurde auf drei Jahre angehoben.
H. selbst war kein Flüchtling. Er lebte seit vielen Jahren legal auf Zypern, lebte dort mit Frau und Kindern. Nach Röszke war er nur gereist, um seinen greisen Eltern zu helfen, die damals aus Syrien geflüchtet waren und zu Ahmet H.s Bruder nach Hannover wollten.
Die teils seit Monaten fliehenden Menschen konnten in Röszke nicht vor und nicht zurück, die Lage war extrem angespannt. Einige Menschen warfen Steine, Stöcke oder Flaschen auf Beamte. Diese setzten Tränengas und Wasserwerfer ein, um die Menschen zurück auf die serbische Seite zu drängen. 15 Polizisten und mehr als hundert Flüchtlinge wurden verletzt.
Er soll der „Anführer“ gewesen sein
Einer Gruppe, darunter Ahmed H., gelang es, ein Tor der Sperranlage einzudrücken. Die Staatsanwaltschaft warf H. vor, „Anführer“ der Flüchtlinge gewesen zu sein. Elf Personen nahm die Polizei an jenem Tag in Röszke fest, einer davon war H. Seitdem sitzt er in Haft. 2016 hatte ihn ein Gericht in Szeged zu zehn Jahren Gefängnis verurteilt. Eine Revisionsinstanz hatte einer Beschwerde von H. Recht gegeben und ein neues Verfahren angeordnet.
In diesem seien nun in dieser Woche die belastenden Aussagen von Polizisten „anscheinend zum ersten Mal auf Plausibilität geprüft worden“, sagt Britta Rabe vom Grundrechtekomitee, die den Prozess in Szeged beobachtet. Am Donnerstagmittag wurde sie mit einer Gruppe von AktivistInnen von der Polizei vorübergehend festgehalten.
Am heutigen Freitag soll ein Video von der Situation gesichtet werden, auf dem zu hören ist, was H. mit dem Megafon gesagt hat. Er selbst hat stets erklärt, er habe die aufgebrachte Menge beruhigen wollen. „Das wurde aber nie berücksichtigt, der Richter hat einfach den widersprüchlichen Aussagen der Polizisten geglaubt“, sagt Rabe.
Den Prozess sieht sie als klar politisch motiviert: „Erst am Montag, dem ersten Verhandlungstag, hat Ungarns Justizminister ein Interview gegeben und Ahmet einen Terroristen genannt.“ Die Regierung nutze die Verurteilung H.s in der ersten Instanz, um ihre Propaganda zu verbreiten, „dass jeder Migrant ein Terrorist ist“. Diese Vorstellung sei in Ungarn mittlerweile derart verbreitet, dass „niemand auch nur mehr über den Prozess spricht“.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Interner Zwist bei Springer
Musk spaltet die „Welt“
Nach dem Anschlag von Magdeburg
Wenn Warnungen verhallen
Historiker Traverso über den 7. Oktober
„Ich bin von Deutschland sehr enttäuscht“
Kaputte Untersee-Datenkabel in Ostsee
Marineaufgebot gegen Saboteure
Elon Musk greift Wikipedia an
Zu viel der Fakten
Aufregung um Star des FC Liverpool
Ene, mene, Ökumene