GLOSSE: Von wo aus lügt sich's besser?
■ Die Hauptstadt sollte immer dort sein, wo der Kanzler gerade nicht ist
Der Umzug unseres Regierungspersonals samt Ministerien nach Berlin soll 50 Milliarden kosten. Das ist auf jeden Fall ein Argument für Berlin. In Bonn ist bereits alles da, was man zum Volksvertreten braucht, ein neues Parlament ist im Bau, das ist auf jeden Fall ein Argument gegen Bonn. Es ist so schwer, sich zu entscheiden. Gefällt es mir nun besser, wenn von Berlin aus die Steuern erhöht werden, oder ist es mir lieber, wenn in Bonn entschieden wird, ob unsere Bundeswehrbuben in den Krieg ziehen dürfen.
So einfach ist dieser Problemberg nicht abzutragen. Denn die entscheidende Frage ist doch: Von wo aus lügt sich's besser? Von Bonn oder von Berlin aus? Anders gefragt: Wo kann sich Demokratie besser entfalten? Wo läßt sich die Freiheit besser verteidigen? Freiheit, dieses flüchtige Gas, das manchem schon Tränen in die Augen getrieben hat, braucht eine Stadt, wo es reagieren kann. Freiheit gedeiht am besten in einer Atmosphäre der gegenseitigen Vorteilsannahme. Die Hauptstadt der Deutschen verlangt eine allgemeine Befindlichkeit des Gebens und Nehmens, in der sich die ars corrumpendi frei entfalten kann. Das Zustecken von Kuverts, das Überreichen von Geschenken verlangt nach diskreten Örtlichkeiten des Vertrauens.
Da fallen einem spontan Kohls Erinnerungslücken ein. Wer erinnert sich nicht gern daran? Überhaupt: Ist Berlin erinnerungsfreundlicher als Bonn? Wenn ja, dann bin ich für Bonn. Ich liebe Erinnerungslücken, weil sie die Phantasie anregen.
Aber auch Berlin kann auf diesem Gebiet einiges vorweisen. Man denke nur an diesen großen demokratischen Selbstreinigungsprozeß in den achtziger Jahren, diesen Bauskandal... Eine Stadt, in der ein Honecker die Freiheit zubaute, in der nun ein Diepgen die Freiheit ausbaut und ein Schalck-Golodkowski seinen Mist baute, eine solche Stadt wäre schon geeignet als Regierungssitz. Zumal ja auch der Bundespräsident nach Berlin möchte. Klar, er kennt die Stadt, war schon mal Regierender, hat wahrscheinlich gute Kontakte zur Bauwirtschaft, steht vielleicht sogar bei denen im Wort, man weiß es nicht. Doch, Berlin hat seine Reize. Bietet immer einen interessanten Bundesligafußball und bewirbt sich für Olympia. Außerdem hat Berlin Luft — in den Immobilienpreisen. Lassen wir die Luft raus, pusten wir mehr Preise rein.
Die besten Argumente kommen von der Initiative Regierungssitz Berlin e.V. Eine Frau Beckmann aus München, Restauratorin, ist für Berlin: „Aus Bonn erscheinen die Sorgen der Menschen nicht nur in den neuen Bundesländern, sondern selbst in den Altländern wie durch ein umgedrehtes Fernglas: kleiner und entfernter als sie wirklich sind.“ Das überzeugt.
Hauptstadt hat also etwas mit der Sichtweise, mit der Aussichtswarte zu tun. Logisch: In Bonn braucht man Ferngläser und schaut falsch herum durch. Bonn verleitet also zu Dummheiten. In Berlin hingegen, vermute ich mal, nimmt man Lupen und hält sie über die Menschen und deren Sorgen. Diese Frau Beckmann muß ins Kanzleramt zum SED — zum Sorgenerkennungsdienst. Egal: Einen großen Nachteil hat Berlin auf jeden Fall: Die Schweiz ist von Berlin aus nicht ganz so schnell zu erreichen wie von Bonn aus. Polen liegt allerdings vor der Haustür. Vielleicht läßt sich ja dort unter Mithilfe von Karol Woityla ein polnisches Bankgeheimnis mit Nummernkonto nach Schweizer Muster einrichten? Wie wär's mit Danzig als Liechtenstein? Das Umfeld muß stimmen. Berlin hat Hinterland. Bonn hat Hinterzimmer. Freiheit ohne Raum, das ist so wie Curry ohne Wurst, das ist wie süßer Senf ohne Weißwurst.
Womit wir endlich bei der heimlichen Hauptstadt angelangt wären, bei München, der Hauptstadt auf dem Lande. Dies ist allerdings nicht auf Anhieb durchzusetzen, sie wird wohl an Kohl scheitern — zuviele Eier in der Nähe. Aber München hat ein Klärwerk, bei dessen Bau sowohl das Münchener Baureferat als auch die in jeder Beziehung bestechenden Firmen bewiesen haben, daß ein Klärwerk eine saubere Sache ist, auch wenn jetzt schmutzige Wäsche gewaschen wird. Alles hat eben seinen Preis. Keine Frage, eine Hauptstadt braucht ein großes Klärwerk. Bonn hat ein Wasserwerk. Was hat Berlin? Berlin hat Zukunft. Aber nur mit einem großen Klärwerk als Regierungssitz.
Vermutlich wird es den einen oder anderen Kritiker geben, der dieser Lösung nicht so zugetan ist. Für diesen einen Vorschlag zur Güte: Wir legen die Hauptstadt ins Ausland. Ideal wäre das Umfeld in Saudiarabien. Ich sehe schon die Schlagzeilen: Hauptstadt in der Wüste. Das hätte einige unschätzbare Vorteile: Möllemanns Geschäftspartner wären ständig greifbar. Möllemann hätte zudem immer ein Auge auf den Waffenhandel. Möllemann in der Wüste — welch eine Ästhetik auf höchster Ebene. Moral und Ethik entwickelten eine neue Kultur. Obwohl die Regierungskultur bisher ja auch nicht ohne war.
Wie auch immer, es nützt alles nichts: Wir brauchen einen konsensfähigen Vorschlag. Und es sind ja auch schon wirklich gute gemacht worden. Der neueste: Die Mischlösung mit Bundespräsident und Außenminister in Berlin, Sekrätärinnen in Bonn, Möllemann in Saudiarabien und die Telefone in Fürstenfeldbruck. Sehr schön — aber ich bin dagegen.
Denn ich bin für die mobile Hauptstadt. Das hätte den Vorteil, daß jede Stadt einmal die Metropole sein kann, natürlich nur, wenn sie über Flughafen und Klärwerk verfügt. Das hieße, die Hauptstadt rotiert monatlich. Berlin, Bonn, München, Essen, Dietersheim... In allen in Frage kommenden Städten werden vorsorglich Regierungsgebäude, Ministerien und Parlamente gebaut. Das kurbelt die Wirtschaft gehörig an. Die Demokratie würde ständig durchs Land reisen und wäre immer nah am Volk dran. Kohl würde das Bürgernähe nennen.
Da erhebt sich die Frage: In welche Stadt paßt dieser Kanzler? Paßt der Kanzler nach Berlin? Hat Bonn ihn wirklich verdient? Kohl in München? Ich hätte einen konkreten Vorschlag: Die Hauptstadt der Deutschen sollte immer dort sein, wo der Kanzler gerade nicht ist. Bruno Jonas
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