piwik no script img

Von wegen zart

Amina Claudine Myers über „weibliche Ästhetik“ im Jazz und die Kirche als Ort leidlicher Emanzipation  ■ Von Christoph Wagner

Lester Bowie, seit kurzem wieder in aller Munde, ist voll des Lobes: „Für mich ist sie groß, weil sie Gospel spielen kann. Genauso kann sie aber umschalten und alles andere spielen, Bebop, sogenannten Free Jazz ...“ Die Rede ist von der Pianistin, Organistin, Komponistin und Sängerin Amina Claudine Myers. Bowie und Myers kennen sich nicht nur von Bowies New York Organ Ensemble, wo letztere eine Schlüsselposition einnimmt, sondern auch von der Zeit in der AACM (Association for the Advancement of Creative Musicans), der richtungweisenden schwarzen Chicagoer Musikerorganisation der Sechziger. Hier traf Amina Claudine Myers mit den wichtigsten Vertretern der „Great Black Music“ zusammen, musizierte mit Leroy Jenkins und Joseph Jarman und machte Schallplattenaufnahmen mit Muhal Richards Abrams, Roscoe Mitchell und Henry Threadgrill. Myers stammt aus Little Rock, Arkansas, studierte Musikpädagogik und arbeitete sechs Jahre als Musiklehrerin an öffentlichen Schulen, bevor sie sich entschloß, ihren Lebensunterhalt als Jazzmusikerin zu verdienen. Als jahrelange Begleitpianistin von „Giganten“ wie Sonny Stitt und Gene Ammons erlernte sie das Handwerk des Jazz in der Abendschule der Clubs und Konzertsäle. Mitte der siebziger Jahre machte sie sich selbständig und leitete seither eine Reihe eigener Ensembles, mit denen sie diverse Einspielungen machte, was ihr den Ruf einbrachte, neben Carla Bley die wichtigste Musikerin des modernen Jazz zu sein.

taz In der Jazzgeschichte kamen Frauen bis vor kurzem kaum vor – von Ausnahmen wie Bessie Smith, Billie Holiday oder Ella Fitzgerald abgesehen, alles Sängerinnen...

Amina Claudine Myers: Zweifellos ist der Anteil der Frauen im Jazz im Wachsen begriffen. Es gibt mehr weibliche Bandleader, ebenso mehr Instrumentalistinnen und Sängerinnen. Dann gibt es Schlagzeugerinnen, die ihre eigene Gruppe leiten, weibliche Blech- und Holzbläser – Frauen spielen mittlerweile im Jazz jede Art von Instrument.

Vielleicht war die Abwesenheit von Musikerinnen in der Jazz-Geschichte ja auch weniger „objektiv“ als eine Frage der Wahrnehmung – „It's a man's man's world“, und so eben auch der Blickwinkel?

Ganz klar. Es gab Zeiten, da spielten Frauen mehr oder weniger daheim; oder in der Kirche, weil es hieß, daß es für Frauen nicht statthaft sei, in der Öffentlichkeit aufzutreten. In der Kirche gab es deshalb immer relativ viele Dirigentinnen, Chorleiterinnen, Piano- und Orgelspielerinnen. Die Mädchen, die andere Instrumente spielten, waren auf die Schulorchester verwiesen – ein Bereich, aus dem sie nie herauskamen. Auch meine musikalische Laufbahn begann in der Kirche. Im Alter von vier Jahren fing ich an, in Gospelchören zu singen, bei denen es sich oft um rein weibliche Ensembles handelte. Das Klavierspiel hab' ich außerdem dort gelernt: durch das Begleiten von Kirchenchören.

Wie war das für Sie Ende der Sechziger? Auch in der schwarzen Musikerselbsthilfeorganisation AACM in Chicago gab es ja kaum Frauen. Sie waren die erste und einzige Instrumentalistin.

Richtig, in der AACM war ich eine der ersten Frauen. Es gab außer mir noch Rita Worford, eine Schauspielerin und Sängerin, und die Vokalistin Iqua Colson. Aber die AACM war eine sehr offene Organisation, und ich hatte nie das Gefühl, wegen meines Geschlechts benachteiligt zu sein. Ich komponierte damals viel, und die Männer spielten meine Stücke. Es gab keinerlei Probleme dadurch, daß ich eine Frau war und sie meine Musik aufführten. Im Gegenteil – ich habe viel von Leuten wie Muhal Richard Abrams oder Roscoe Mitchell gelernt. Damals wurde nicht nur Musik gemacht, sie schrieben auch Gedichte, malten und spielten Theater. Diese Leute machten mir klar, daß ich meine eigene Musik selbst am besten spielen könne, besser als jemand anders. Ich hatte Zweifel wegen meines Pianospiels, ich hatte ja nie Klavier studiert. All die komplizierten Akkorde und schwierigen Passagen. Sie ermutigten mich, es trotzdem zu versuchen, und es haute hin – wodurch meine musikalischen Möglichkeiten weiter wuchsen. Es war ein Glücksfall, in diesem Umfeld zu sein – eine Erfahrung, die man nur einmal im Leben macht.

Über „Frauen im Jazz“ wird ja mittlerweile viel geredet. Es gibt Bücher, Filme, sogar Festivalprogramme werden darauf abgestimmt. Hat sich die Situation mittlerweile umgekehrt: von der Diskriminierung zum Bonus?

Frauen sind immer ein Bonus (lacht). Aber Spaß beiseite, ich glaube nicht, daß wir es leichter haben, weil die Situation im Jazz allgemein schwierig ist. Ob Mann oder Frau – es ist nicht leicht, einen Job zu kriegen. Es gibt Phasen, wo man sehr viel zu tun hat, dann passiert wieder lange Zeit nichts. Es ist eben immer ein Kampf, dauernd muß man am Ball bleiben. Also von einem Bonus merke ich da nichts. Der Unterschied zu früher ist vielmehr, daß Frauen heute generell mehr respektiert werden. Früher hörte ich manchmal Sätze wie: „Oh, die spielt wie ein Mann.“ Das hat aufgehört, dieses blödsinnige Klischee, daß Frauen sanft und weich sind. Als ob meine Großmutter keine starke Frau gewesen wäre. Wie die sich durchgeackert hat: pflügen, harte Arbeit ihr Leben lang – von wegen sanft und zart.

Lennie Tristano hat den Frauen im Jazz eine große Zukunft vorausgesagt – gerade wegen der vielzitierten „Sensibilität“ und „Einfühlsamkeit“. Auch viele Frauen sehen das so. Gibt es für Sie so etwas wie eine „spezifisch weibliche Ästhetik“?

Das ist schwer zu sagen. Jeder Mensch spielt anders, hat seinen persönlichen Stil. Wenn auf dem Piano gut und kraftvoll gespielt wird, kann ich nun wirklich nicht sagen, ob es ein Mann oder eine Frau ist. Bessie Smith z.B. konnte einerseits ganz sanft und unschuldig sein, dann aber wieder knüppelhart und stark – auch was die geschäftliche Seite anbelangt. Oder nimm Bertha Hope: Sie spielt ganz anders Klavier als ich, und trotzdem enthält ihre Musik ebenso wie meine sowohl Kraft und Energie wie Wärme und Feingefühl.

In Ihrer Musik ist ein starkes ländliches Element enthalten – auch wenn Sie hochkomplexen, avantgardistischen Großstadt- Jazz spielen. Die alte downhome music des Südens bleibt spürbar. Manchmal spielen Sie sogar neben dem Piano ein wenig auf der Mundharmonika. Wie stark sind für Sie die Verbindungslinien zwischen den alten und neuen Formen schwarzer Musik?

Die Mundharmonika ist das Symbol für die Klänge meiner Kindheit, sie hat einen großen Stellenwert im Country-Blues und der Folkmusik. Und da ich nun mal mit dieser Musik groß wurde, plus Gospel und Country & Western, dringen die Einflüsse immer durch, egal, was ich spiele. Ich versuche weder, sie zu verbergen, noch herauszukehren – sie sind einfach da. Gospel und Blues führen direkt nach Afrika zurück. Deswegen ist, auch wenn ich sehr frei und esoterisch spiele, immer noch dieser spezielle Rhythmus vorhanden.

Ist es wirklich möglich, von Jazz, Gospel und Blues eine direkte Linie zur afrikanischen Musik zu ziehen? Immerhin dauerte es Generationen, bis sich diese Musikstile in Amerika herausbildeten. Die Sklaven sangen doch vor allem englische Hymnen?

Das stimmt, daß die Sklaven englische Lieder sangen, und weil sie die Sprache nicht so gut beherrschten, sangen sie die Songs auf ihre Weise. Früher – in der Black-Power-Zeit – hat man das afrikanische Moment betont, die blackness der Musik herausgestrichen, weil wir uns unserer Wurzeln bewußt werden mußten. Ich weiß jetzt, daß ich direkt aus Afrika stamme. Und nun, da ich mir dessen sicher bin, fühle ich mich in der Lage, in jede Richtung zu gehen, wohin auch immer. In bezug auf die Entstehung von Jazz und Gospel bin ich für die Wahrheit, und die besagt – soweit ich sie kenne –, daß es sich um eine Vermischung handelt: einige der Rhythmen stammen aus Afrika und einige der Harmonien.

Die Gospelgesänge und der Blues entstammen einer Tradition, die mündlich weitergegeben wurde. Moderner Jazz ist viel anspruchsvoller, die Musiker sind vorzüglich ausgebildet, sie können vom Blatt spielen und sind in jedem Stil zu Hause. Ging dem Jazz dadurch etwas verloren?

Ich schätze Musiker, die gut geschult sind und Musik lesen können. Allerdings habe ich das Gefühl, wenn ich im Süden bin und dort mit Musikern zusammensitze, die keine Noten können, daß sie oft mehr Gefühl für die Musik besitzen. Du nennst ihnen eine Tonart, und schon wissen sie, was zu tun ist. Ich bevorzuge eher die intuitiven Spieler.

In den achtziger Jahren ist der Jazz in ein Stadium der Pluralität eingetreten. Es dominiert nicht mehr nur ein Stil. Was ist Stand der Dinge?

Jazz gibt es heute in allen nur denkbaren Ausprägungen. Und es gibt noch viel mehr Jazz, den die Öffentlichkeit gar nicht zu hören bekommt. Die Musik so vieler kreativer Musiker wird nie im Radio gespielt, was ich für einen Skandal halte. Entweder sie spielen Nostalgisches aus der Vergangenheit – wobei ich vor den alten Musikern großen Respekt habe –, oder sie stopfen dich mit diesem Easy-Listening-Zeugs voll. Das betrifft auch die Clubs. Wir Jazzmusiker müßten über eigene Sender und Clubs verfügen, um ein Gegengewicht zu schaffen. Ich habe zwar keine Ahnung, wie das anzupacken wäre, aber es ist verdammt notwendig.

Neue Platte: Amina Claudine Myers Trio: „Women in (E)Motion“ (Tradition & Moderne/Indigo T&M 102)

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen