: Von nichts gewußt?
■ Die Nato riskiert sehenden Auges einen Putsch in Montenegro
Die Nato hat bislang nicht nur Fabriken, Raffinerien und Brücken in Jugoslawien in Schutt und Asche gelegt, sondern auch die serbische Restopposition hinter Präsident Slobodan Milošević gebombt. Nun, kurz vor ihrem 50. Geburtstag, schickt sich die Allianz an, den Widerstand gegen Milošević und den Ansatz eines prowestlichen Kurses auch in der kleinen jugoslawischen Teilrepublik Montenegro im Bombenhagel zu ersticken.
Die Nato-Verantwortlichen scheinen die verzweifelten Versuche des montenegrinischen Präsidenten Milo Djukanović nicht ernst zu nehmen, sein Land, wie angekündigt, aus dem wahnwitzigen Krieg herauszuhalten. Zu diesem Zweck wurde, anders als in Serbien, der Kriegszustand nicht ausgerufen. Und die Mobilisierung von Zivilisten unterbleibt. Erst gestern weigerte sich Staatschef Djukanović, seine Polizei dem jugoslawischen Militär zu unterstellen. Ohnehin ist die 600.000- Einwohner-Republik schon seit Monaten aus den gemeinsamen föderalen Institutionen ausgestiegen und erkennt deren Beschlüsse nicht mehr an. Doch die Nato bombt auch hier weiter – trotz einer kurzen Feuerpause.
Das könnte verheerende Folgen haben – natürlich wieder völlig unerwartete. Schon setzt Belgrad, das sein II. Armeekorps und seine gesamte Marine in Montenegro stationiert hat, den kleineren Partner zunehmend unter Druck. Die Gefahr, daß sich die Armee auf Geheiß von Milošević der montenegrinischen Führung zu entledigen sucht, wächst. Die Luft für Djukanović wird dünner. Da nützt es dem Präsidenten nichts, daß er zwar die Nato- Angriffe verurteilt, gleichzeitig aber Milošević als Hauptverantwortlichen der Kriegssituation klar benennt. Immerhin kann sich sein Widersacher Momir Bulatović, ein treuer Gefolgsmann von Milošević, der Zustimmung von mindestens 30 Prozent der Bevölkerung sicher sein. Mit weiteren Angriffen dürfte sich dieses Verhältnis zuungunsten von Djukanović verschieben.
Schon zirkulieren erste Berichte über ethnisch motiviertee Vertreibungen von Kosovo-Flüchtlingen aus Montenegro. Auch sollen sechs albanische Flüchtlinge erschossen worden sein. Sollten sich diese Berichte bestätigen und weitere Schreckensmeldungen folgen – wird die Nato das der Öffentlichkeit dann auch als Versuch verkaufen, eine humanitäre Katastrophe abzuwenden? Barbara Oertel
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen