: Von der größten Baustelle Europas zur künstlichen Konsum- und Vergnügungswelt
„Die Legende bebt“, jubelte die Zeit, eine „Retorte im Gesicht der Stadt“, unkte die Süddeutsche Zeitung, und Der Spiegel monierte die „Insellage“ des Vorhabens – kaum ein städtebauliches Großprojekt hat die Gemüter so erregt wie der Bau einer „neuen Mitte“ Berlins am Potsdamer Platz.
Von Kontroversen über Urbanismus und Architektur wird heute allerdings keine Rede sein. Am Eröffnungstag der neuen Daimler-City, dem mit 68.000 Quadratmeter größten Areal des Potsdamer Platzes, stehen im Beisein von Bundespräsident Roman Herzog vor allem Superlative im Vordergrund: die Fertigstellung der ehemals größten Baustelle Europas und die nationale Bedeutung des nun bebauten Todesstreifens als Bindeglied zwischen Ost und West, als Ort, an dem die Träume einer Dienstleistungsmetropole Berlin Wirklichkeit zu werden scheinen.
In der Tat ist das Unternehmen Mitte beeindruckend. Bevor 170 Fassadenkletterer die „Hanging Pictures“, riesige Fotoleinwände mit Motiven aus der Geschichte des Potsdamer Platzes, entfernen und den Blick auf den neuen „Stadtteil“ freigeben, sorgten bis zuletzt 4.500 Bauarbeiter dafür, daß die 120 Geschäfte der Shopping-Mall fertig werden, die zehn Straßen begehbar, die 19 Gebäudeblöcke nutzbar sind.
Darüber hinaus werden 5.000 geladene Gäste auf dem neuen Marlene-Dietrich-Platz schon einmal üben, wie es sich in einer künstlichen Konsum- und Vergnügungswelt bewegt. Denn außer Büros, Musical-Theater, Multiplex-Kino, Grand-Hotel, Spielbank, Gastronomie, Shopping und Luxuswohnen hat der Potsdamer Platz nur wenig von dem zu bieten, was unter städtischer Dichte und Vielfalt verstanden wird. Stadt mitsamt ihren Problemen findet in Berlins neuer Mitte außerhalb statt – als Brache am Leipziger Platz oder als „Problemquartier“ gleich nebenan auf der Potsdamer Straße.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen