Von der Politik in die Wirtschaft: Zaghafte Lobby-Kontrolle

Niedersachsen will den Wechsel von MinisterInnen mit Karenzzeitgesetz regeln. Grüner Opposition und Transparenzinitiativen ist das noch viel zu lasch.

zwei Männer lehnen an einem Auto

Vorstellbar, dass auch VW Minister Olaf Lies oder gleich dessen Chef Stephan Weil Avancen macht. Foto: dpa

HAMBURG taz | Das neue niedersächsische Karenzzeitgesetz solle dem „Vertrauen der Allgemeinheit in die Integrität der Landesregierung“ dienen, so teilte diese mit, als sie den ersten Entwurf dazu verabschiedete. In der kommenden Woche soll die endgültige Fassung im Landtag verabschiedet werden – doch nicht nur die Opposition, auch Antikorruptions-Organisationen kritisieren das Gesetz als unzureichend.

„Es wird bundesweit das schwächste Karenzzeitgesetz“, sagt Norman Loeckel, von der Arbeitsgruppe Politik bei Transparency Deutschland. Das liege vor allem an der kurzen Übergangszeit von 18 Monaten, die dort festgeschrieben ist. Innerhalb der Karenzzeit müssen gegenwärtige oder frühere Mitglieder der Landesregierung anzeigen, wenn sie eine Tätigkeit außerhalb des öffentlichen Dienstes annehmen wollen. Wenn durch die neue Tätigkeit öffentliche Interessen beeinträchtigt werden, so gibt das Gesetz der Regierung die Möglichkeit, dies ganz oder teilweise zu untersagen.

Transparency International aber auch die Transparenzinitiative Lobby Control, die jeweils Stellungnahmen zum Gesetzesentwurf abgegeben haben, fordern beide eine Übergangszeit von drei Jahren. Sonst, so warnt Loeckel, bestehe die Gefahr, dass sich MinisterInnen durch wohlfeiles Verhalten gut bezahlte Tätigkeiten in der freien Wirtschaft versprächen.

Auch die niedersächsischen Grünen halten die Frist für „viel zu kurz“, so der parlamentarische Geschäftsführer der Grünen im Landtag, Helge Limburg. Er verweist darauf, dass Hamburg, Bremen und Schleswig-Holstein eine Karenzzeit von 24 Monaten festgeschrieben haben. In der EU-Kommission hat man die Frist für Kommissare im vergangenen Jahr von 18 auf 24 Monate und für den Kommissionspräsidenten auf 36 Monate verlängert.

Ex-Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) ist seit 2006 Vorsitzender des Gesellschafterausschusses bei der Nordstream AG, die eine Erdgaspipeline durch die Ostsee betreibt. Die AG gehört zu 51 Prozent Gazprom. Schröders Kabinett hatte Gazprom eine Bürgschaft angeboten, die laut Lobby Control in ungewöhnlich kurzer Zeit zustande kam.

Ex-Außenminister Joschka Fischer (Grüne) hat 2009 einen Beratervertrag mit den Energiekonzernen RWE und OMV Gas & Power (Österreich) abgeschlossen, für die er in den beteiligten Ländern das private Pipeline-Projekt „Nabucco“ vorantrieb. Außerdem nahm Fischer eine Beratertätigkeit für den Automobilhersteller BMW auf. Laut Konzern erhielt er den Auftrag nachhaltige Strategien zu entwickeln, die das Öko-Bewusstsein der Konzernmitarbeiter verbessern sollen. Lobby Control zufolge sind seine eigentlichen Aufgaben unklar.

Stanislaw Tillich (CDU) war bis 2017 sächsischer Ministerpräsident und ab 2018 einer der Vorsitzenden der Braunkohlekommisson. 2019 wurde er Aufsichtsratsvorsitzender der Mitteldeutschen Braunkohlengesellschaft.

Der niedersächsische Umweltminister Olaf Lies (SPD) prüfte 2019 ein Angebot des Bundesverbands der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW), dessen Hauptgeschäftsführer zu werden.

Die niedersächsische Landesregierung sieht dagegen keinen Nachbesserungsbedarf. Die Karenzzeit von 18 Monaten sei eine „angemessene Zeitspanne“ und so auch im Bundesgesetz, an dem man sich orientiere, festgeschrieben, schreibt Anke Pörksen, die Sprecherin der niedersächsischen Landesregierung auf Anfrage der taz. Die Frist trage zwei Aspekten Rechnung: „Unter Berücksichtigung der als Grundrecht geschützten Berufsfreiheit“, werde, so Pörksen, „ein Weg vorgeschlagen, der einerseits potentiell Interessierte nicht davon abhält, auf Zeit angelegte Regierungsämter zu übernehmen“.

Und andererseits werde „das Regierungshandeln durch die Aufnahme einer nachamtlichen Beschäftigung nicht dem Anschein der Voreingenommenheit“ ausgesetzt. Anders als Transparency und Lobby Control hielt das Institut für Staatsrecht der Universität Heidelberg in seiner Stellungnahme die Länge der Übergangszeit für angemessen.

Für Kritik hatte auch gesorgt, dass kein beratendes Gremium vorgesehen ist. Eine solche externe Expertise beuge dem Verdacht vor, dass „eine Krähe der anderen kein Auge aushackt“, sagt Norman Loeckel von Transparency. Andernfalls würden frühere KollegInnen über künftige Tätigkeiten ausscheidender MinisterInnen entscheiden.

Das Bundesinnenministerium hatte ein beratendes Gremium in seiner Stellungnahme explizit empfohlen: „Bewährt hat sich aus Sicht der Bundesregierung insbesondere die Einrichtung eines beratenden Gremiums.“ In Niedersachsen will man ohne auskommen, um als Landesregierung selbst „die volle rechtliche wie politische Verantwortung für diese Entscheidungen zu übernehmen“, schreibt Anke Pörksen.

Ein weiterer Kritikpunkt am geplanten Gesetz ist, dass es keine zwingenden Sanktionen vorsieht, falls das ausscheidende Regierungsmitglied die geplante Tätigkeit nicht mitteilt. „So droht die Regelung zum zahnlosen Tiger zu werden“, warnt Helge Limburg. Die Landesregierung setzt hier ganz auf die Öffentlichkeit. Angesichts des in diesen Fällen entstehenden öffentlichen Drucks, „der sowohl auf das betroffene (ehemalige) Regierungsmitglied einwirkt als auch auf die Einrichtung beziehungsweise das Unternehmen, für das die künftige Beschäftigung aufgenommen werden soll“, seien solche Sanktionsmöglichkeiten verzichtbar, „ohne dass damit Abstriche in der Wirksamkeit der Karenzzeitregelung zu befürchten wären“, heißt es in der Antwort der Staatskanzlei.

Es ist vorgesehen, dass künftig jede Entscheidung der Landesregierung (Untersagung, teilweise Untersagung, Nichtuntersagung) im Niedersächsischen Ministerialblatt bekannt gemacht wird. Die Begründung, weshalb ein Wechsel in die freie Wirtschaft genehmigt wird oder nicht, soll – wie auf Bundesebene auch – dabei jedoch nicht mitgeliefert werden. Auch das kritisieren die Grünen. So, der Einwand von Helge Limburg, könne sich die Öffentlichkeit kein Bild von der Situation machen.

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