Von der Höchststrafe zur Normalität: Elfmeter!!!!!

Noch vor Ablauf der Vorrunde hat die WM einen Rekord aufgestellt: Noch nie gab es so viele Elfer in einem Turnier. Der Grund: Der Videobeweis.

Durch das Netz eines Tor erkennt man einen Torwart, der einen Ball zu fangen versucht.

Früher war er eher Höchststrafe, nun ist er Normalität: der Elfmeter Foto: dpa

Als Portugal gegen den Iran beinahe doch noch aus diesem Turnier stürzt, hat das wieder mit den elf Metern zu tun. Cristiano Ronaldo ist gefoult worden, zumindest mehr oder weniger. Eigentlich ist er eher in seinen Gegenspieler Saeid Ezatolahi hineingepflügt, wie Ronaldo das eben macht, wenn man ihm so freundlich einen ungelenken Oberschenkel in den Weg stellt. Der Videoschiedsrichter entscheidet auf Foulelfmeter. Es ist der 19. Strafstoß in diesem Turnier, ein Allzeitrekord.

Ronaldo läuft an, schickt einen mittig platzierten Holperball auf den Weg. Vergibt. Etwas später, dritte Minute der Nachspielzeit, prallt auf der Gegenseite dem Portugiesen Cédric Soares ein Kopfball an den Arm. Wieder gibt es Strafstoß, Karim Ansarifard trifft zum 1:1. Und zum Glück für die Portugiesen endet das Spiel, bevor der Iran mit einem weiteren Elfmeter Portugal aus dem Turnier schießen kann.

Zwanzig Strafstöße hat die WM zu diesem Zeitpunkt gesehen. Schon vor Ende der Vorrunde sind das mehr als bei jedem anderen Turnier im gesamten Verlauf: 14-mal Foulelfmeter, 6-mal Handelfmeter, insgesamt 7-mal Strafstoß nach Intervention des Videoassistenten. Der Videobeweis hat seinen ersten durchschlagenden Effekt erzielt. Irrelevant ist diese Entwicklung nicht.

In einem Turnier, bei dem Zerstörungstaktik endlose 0:1- und 1:1-Ergebnisse produziert, sind Strafstöße ein spielentscheidendes Element geworden. Der Elfmeter hat als taktisches Mittel zeitweise die Ecke abgelöst. Spielen wir mal hohe Bälle in den Strafraum, irgendwann wird schon jemand nicht rechtzeitig den Arm wegziehen können.

Was passiert, wenn man genau hinschaut?

Die Elfmeter gingen sogar in der Mehrzahl in Ordnung. Das Regelwerk sieht vor, sie zu geben. Das Regelwerk aber ist entstanden zu einer Zeit, als niemand sich hätte träumen lassen, dass es mal Kohorten von Videoassistenten am Bildschirm geben würde, die sich jede Berührung in Superzeitlupe anschauen können. Die jeden Ball sehen, der einen kleinen Finger streift, und jede Faust, die sich für eine Sekunde ans blütenweiße Trikot krallt.

Der Videobeweis leistet bei dieser WM, entgegen allen Erwartungen, gute Arbeit. Er tut, was er tun soll. Und so lernen wir erst jetzt, was passiert, wenn jemand allzu genau hinschaut.

Dieses Turnier erlebt in den Strafräumen verunsicherte Verteidiger, die panisch den Arm hinter den Rücken schlagen, wenn sie in den Zweikampf gehen. Feldspieler, die bei jeder Flanke die Hand außer Reichweite bringen, bis doch irgendwann ein Querschläger dagegenprallt.

Was ist aus dem Elfmeter geworden? Der Elfmeter war einst eine abschreckende Höchststrafe, sozusagen die Todesstrafe, die vor allem existiert, um die Lebenden zu warnen. Bei diesem Turnier aber hat er für ein Fünftel aller Tore gesorgt. Man kann der Höchststrafe kaum noch entgehen, und so verliert sie ihren Schrecken. Sie lähmt die Lebenden. Im Sinne des Erfinders ist all das nicht.

Der Videobeweis wird nach dieser Erfahrung nicht abgeschafft werden, dafür ist er mit viel zu viel Prestige verbunden. Aber wenn die Fifa klug ist, passt sie das Regelwerk an. Die unübersichtliche Handspielregel gehört schon lange überarbeitet. Die Richt­linien im Strafraum auch: im Zweifel für den Abwehrspieler, Spielfluss statt Detektivarbeit. Zumindest, wenn die Fifa sich endlose Diskussionen ersparen will, warum das WM-Finale nach drei Elfmetern 2:1 endete.

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