piwik no script img

Von Wahl zu WahlDas rote Tief im Norden

Die SPD verliert im Norden überdurchschnittlich. Hamburgs SPD-Chef Olaf Scholz ist angeschlagen, Stephan Weil droht das Aus als Ministerpräsident

Tristesse Sociale: Schulz abgerissen, Scholz angeschlagen, Weil lässt sich hängen Foto: Pförtner (dpa)

HAMBURG taz |Die SPD trifft es hart im Norden: Nirgends in der Republik verlor die SPD bei der Bundestagswahl mehr Prozentpunkte als in Hamburg, Schleswig Holstein und Bremen. Büßten die Sozis im Vergleich zur Bundestagswahl 2013 bundesweit 5,2 Prozent der Stimmen ein, so verloren sie in Hamburg 8,9, in Bremen 8,8 und in Schleswig-Holstein 8,2 Prozent.

Für Bremens SPD-Bürgermeister Carsten Sieling und die Bremer Parteichefin Sascha Karolin Aulepp bedeuten die hohen Einbußen in ihrem Terrain eine herbe Schlappe. Bereits bei der letzten Landtagswahl mussten die Sozis in ihrer Hochburg ein Rekordtief hinnehmen. Nun liegt die SPD mit 26,8 Prozent der Stimmen nur noch knapp vor der CDU, die 25 Prozent erreichte. Auch Schleswig-Holsteins SPD-Landeschef Ralf Stegner hat Erklärungsbedarf: Über zehn Prozentpunkte liegt die SPD im nördlichsten Bundesland hinter der CDU.

Vor allem aber Hamburgs Bürgermeister Olaf Scholz, der vielen schon als designierter Nachfolger von Martin Schulz galt, ist durch den Hamburger Rekordverlust angeschlagen. Eilte der 59-Jährige bislang von Wahlsieg zu Wahlsieg, so sinkt sein Stern seit dem G20-Gipfel. Während die Grünen für ihren Gipfel-Zickzackkurs vom Wähler nicht abgestraft wurden, sondern mit 13,9 Prozent sogar ihr bundesweit bestes Ergebnis einfuhren, fiel die SPD in Hamburg bei der Wahl durch.

Auch parteiintern wird dieses Ergebnis mit der misslungenen Gipfel-Performance von Scholz in Verbindung gebracht. Der Bürgermeister hatte vor dem Treffen der Regierungschefs betont, der Senat könne für die Sicherheit aller Hamburger während des Gipfels garantieren, dieser werde die Stadt kaum mehr belasten als der jährliche Hafengeburtstag und hinterher behauptet, es habe während der Auseinandersetzungen keine Polizeigewalt gegeben. Drei fatale Fehleinschätzungen, die auch in der SPD Kopfschütteln auslösten.

Wahl im Norden

Bremen (6 Mandate): SPD 26,8% (-8,8) 2 Mandate; CDU 25,0% (-4,3), 1 Mandat; Linke 13,5% (+3,4), 1 Mandat; Grüne 11,0% (-1,1), 1 Mandat; AfD 10,0% (+6,3), 1 Mandat; FDP 9,3% (+5,9) 0 Mandate;

Hamburg (16 Mandate): CDU 27,2% (-4,9), 4 Mandate; SPD 23,5% (-8,9), 5 Mandate; Grüne 13,9% (+1,2), 2 Mandate; Linke 12,2% (+3,4), 2 Mandate; FDP 10,8% (+6,0), 2 Mandate; AfD 7,8% (+3,6) 1 Mandat;

Niedersachsen (66 Mandate): CDU 34,9% (-6,2), 21 Mandate; SPD 27,4% (-5,7), 20 Mandate; FDP 9,3% (+5,1), 7 Mandate; AfD 9,1% (+5,4), 7 Mandate; Grüne 8,7% (-0,1), 6 Mandate; Linke 6,9% (+1,9) 5 Mandate;

Schleswig-Holstein (26 Mandate): CDU 34,0% (+3,4), 10 Mandate; SPD 23,3% (-8,2), 6 Mandate; FDP 12,6% (+7,0) 3 Mandate; Grüne 12,0% (+2,6) 3 Mandate; AfD 8,2% (+3,6), 2 Mandate; Linke 7,3% (+2,1), 2 Mandate

Öffentliche Kritik von Hamburger Sozialdemokraten am Bürgermeister gab es in der von Scholz autoritär geführten Partei trotzdem nicht. Bislang. So ist es ein Novum, dass mit Hauke Wagner ein Hamburger SPD-Bürgerschaftsabgeordneter sich Scholz am Montag mit einem Facebook-Beitrag herzhaft zur Brust nahm: „Erst hieß es, die Mitglieder werden befragt, bezüglich einer möglichen Regierungsbeteiligung, dann wussten es aber die Obergenossen in Berlin doch wieder alleine besser“, schimpft Wagner gegen Martin Schulz – aber auch gegen Scholz als Partei-Vizechef. Denn der hatte am Wahlabend noch prägnanter als Schulz verkündet, die SPD werde in die Opposition gehen und nicht für Koalitionsgespräche zur Verfügung stehen – selbst wenn ein Jamaica-Bündnis im Bund scheitere.

„Ich könnte ausrasten!“, schrieb Wagner weiter. „Das läuft wie nach G20: Kritik wird als unsolidarisch beschimpft und am Ende folgen die Genossen-Lemminge wieder der Obrigkeit.“ Eine Breitseite auch gegen seine Hamburger Genossen, die Kritik an „König Olaf“ nur hinter vorgehaltener Hand üben.

Nicht ganz so hoch wie die Verluste in Hamburg, Bremen und Schleswig-Holstein sind die SPD-Einbußen in Niedersachsen: Sie liegen mit 5,7 Prozent aber immer noch oberhalb des Bundesschnitts. Da gegen den Bundestrend auch die Grünen in Niedersachsen ihr Wahlergebnis verschlechterten, spricht derzeit nichts für eine Fortsetzung des rot-grünen Regierungsbündnisses.

Schon in den LandtagswahlUmfragen lag die CDU kurz vor dem bundesweiten Urnengang rund fünf Prozentpunkte vor der SPD, der damit das nächste Debakel droht. Die Bundestagswahl lässt eine Trendwende nicht erkennen. Für Rot-Rot-Grün dürfte es bei einem möglichen Einzug der Linken in den Landtag nicht reichen. Eine Große Koalition schließt Weil als „extrem unwahrscheinlich“ nahezu aus. Viel spricht daher auch in Niedersachsen für ein Jamaica-Bündnis und damit die Abwahl von Weil als Ministerpräsident.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

4 Kommentare

 / 
Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • Wo der Wert des Sozialen über Jahrzehnte hinweg systematisch marginalisiert und der gemeine Ellenbogen im selben Maße zum Fuß Gottes aufgewertet wird von der gesamten Bürgerschaft, hilft nachher auch die Schulz-Lok nicht, die mit sozialen Themen Wahlkampf macht.

     

    Die Ware ist, so völlig unbeworben, ganz einfach unverkäuflich in der Marktwirtschaft, um es mal für die Pfeffersäcke zu erklären. Der „Gipfel“ ist dann kaum mehr als der Vorwand, den man braucht, wenn man sich morgens in die Augen sehen will in seinem sorgsam blank polierten Badezimmerspiegel.

  • Aus dem Bundestagswahlergebnis auf den Wahlausgang in Niedersachsen zu schließen ist ein wenig verfrüht. Es gab bisher nach einer Bundestagswahl fast immer eine Gegenbewegung in den Ländern, von der die SPD profitieren müsste.

  • Olaf Scholz ist nur in der Redaktion der taz und in den Köpfen von einigen links denkenden Menschen angeschlagen, ansonsten ist er die Option für die SPD, weil er ins Konzept passt und weil er bundespolitisch exzellent vernetzt ist und wahrscheinlich die nächste Hamburg-Wahl auch schafft, oder mal so formuliert, die CDU wird das eben nicht schaffen, also ergibt sich Scholz als Gewinner.

     

    Er vernachlässigt soziale Fragen, glaubt an die positive Kraft der Wirtschaft und der Unternehmer, das sind vielleicht seine Schwachpunkte, aber er ist auch ein Politiker, der klar kalkulieren und führen kann. Die SPD in HH war ohne ihn eine Bürgerkriegszone, er hat das gelöst, er hat die Einheit herstellen können.

     

    Und G20 ist doch eher die rechte SPD mit ihrem Senator gewesen, für den Scholz gerade stehen muss, aber es stimmt schon, das war total daneben.

     

    Aber das wird auch vergeßen und dann werden in Zukunft wohl wieder mehr Menschen wählen gehen, weil sie die Angst vor der AfD und dem Chaos umttreibt. Das könnte Scholz nützlich sein. Ansonsten wäre es m.M. gut, wenn die Wähler diese SPD hier in Hamburg korrigieren, weil sie das von alleine ja nicht macht. Dass da überhaupt mal einer was sagt, war ja schon eine Sensation.

  • Das grundlegende Problem der SPD war schon immer ihre wankelmütige Politik, schon seit der Weimarer Republik. Erst sind wir dafür, dann dafür, aber..., dann dagegen, aber... und zum Schluss dagegen. Natürlich bedeutet Politik auch immer Kompromisse einzugehen. Die dürfen aber nicht faul sein. Wenn's hart auf hart kommt und das Tafelsilber zur Disposition steht, muss man Farbe bekennen, ohne Rücksicht auf eigene Verluste, auch wenn's schmerzhaft ist.

    Daher ist die SPD für einen Menschen, der tendenziell das Herz links trägt, leider nicht wählbar, weil man Gefahr läuft, dass das Mandat nicht erteilten Sinne benutzt wird.

    Insofern erscheint es taktisch richtig, nicht noch mal in eine GoKo zu gehen, die der SPD nicht gut tut und in der sie nur verschlimmbessern kann.

    Optimal wäre natürlich, basisdemokratisch die Mitglieder darüber abstimmen zu lassen. Das bedeutet aber, dass man sich für Demokratie Zeit nimmt und dass die Heeresführung ein gewisses Grundvertrauen in die statistische Verteilung der menschlichen Vernunft in der Basis hat.

    Beides scheint man nicht zu haben.