■ Die Aufregung um die grüne Forderung nach einem Tempolimit: Von Verzicht und Maßhalten
Wieder einmal hat sich eine grüne Bundestagsabgeordnete vorführen lassen. Bild ruft an, und Frau Gila Altmann diktiert dem Reporter ein paar Zeilen zum Tempolimit auf Autobahnen und in innerstädtischen Wohngebieten in den Block. Die Reaktionen folgten prompt. So, wie es die Strategen im Boulevardblatt vorausberechnet hatten. Das Thema ist in der Welt – und damit in diesen Zeiten mitten im Wahlkampf. „Schleichzwang auf Autobahnen“, schreit CDU-Generalsekretär Peter Hintze dankbar auf, und Hessens Ministerpräsident Hans Eichel, Chef einer rot-grünen Landesregierung, will auch nicht hinten anstehen und spricht von „abstrusem Unsinn“.
Nun ist es ja keineswegs so, daß die grünen Forderungen neu wären. Sie sind nachzulesen im Magdeburger Programm, auch die Fraktion hatte zwei Anträge zur Geschwindigkeitsbegrenzung im Bundestag eingebracht. Können sich die Grünen also entspannt zurücklehnen? Im Gegenteil. In der von den Medien betriebenen öffentlichen Darstellung zementiert sich das Bild einer Verzichts- und Beschränkungspartei. Es begann mit dem Hin und Her zum Benzinpreis von fünf Mark. Dann folgten jene Abgeordneten, die den Bürgern alle fünf Jahre einen Urlaubsflug genehmigen wollte – wo doch ein Großteil der grünen Klientel (und ihrer Abgeordneten) zum Volke der Vielflieger gehört. Die Kurven der Zustimmung in den Meinungsumfragen gingen rasant nach unten. Erschrocken reagierte die Parteispitze und ruderte zurück.
Tempolimits mögen vernünftig sein. Sie sind gut aufgehoben im Parteiprogramm und sollten verhandelt werden, wenn Verhandlungen anstehen. Zum Essential erhoben verschrecken sie aber vorab nur weitere Sympathisanten. Nämlich jene, denen vieles an den Grünen wichtig ist – aber nicht das Tempolimit.
In der Schlußphase vor der Wahl wird man den Eindruck nicht los, als hätten manche Grüne nicht begriffen, daß es rauher als sonst zugeht. Da wäre Schweigen manchmal angesagter als muntere Plauderei. Schröder hat dies zur Perfektion betrieben – zum Verdruß eines CDU-Fraktionschefs Schäuble, der sich gern mit ihm über Inhalte streiten und dabei wohl als Punktsieger hervorgehen würde. Einige Grüne und ihre Selbstdarstellung wirken heute, da die anderen Parteien vieles im Nebulösen lassen, rührend antiquiert. Sie haben die 80er nie verlassen, als Moral in ihren Kreisen zur politischen Tugend schlechthin erhoben wurde. Vielleicht aber ist es ja nur eine geschickte Strategie, um da zu bleiben, wo man sich am wohlsten fühlt: in der Opposition. Severin Weiland
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