piwik no script img

Von Pistoleros und Camorra-Bräuten

In Neapel wächst eine junge Generation von Profikillern heran. Statt in die Schule zu gehen, lernen schon 12jährige den Umgang mit Pistolen. Daran ändert auch der jüngste Mafia-Mord an einem 14jährigen Jungen nichts  ■ Aus Neapel Werner Raith

Carluccio stößt einen spitzen Schrei aus. Mit seiner hellen Stimme übertönt er das Dröhnen der Schleifmaschinen und der Motorsägen in der benachbarten Schreinerei. „Eepp, epp!“ schreit er noch einmal, dann wirft er eine leere Plastikkanne, so hoch er kann. Als sie die Höhe der Mauer erreicht, knallt es von der anderen Seite der Umfriedung vier-, fünfmal kurz und trocken.

Die Kanne fällt zu Boden. „Stümper“, sagt Carluccio, holt die Kanne wieder und baut sich erneut auf. Diesmal scheint es besser zu gehen – nach den Pengpengs ist auch ein leichtes Knacks an der Kanne zu hören, sie ändert ihre Flugrichtung. Wo sie getroffen wurde, ist nicht auszumachen. Sie hat schon diverse Beulen und wohl auch Einschußlöcher. Trotzdem ist Carluccio nicht zufrieden. Er läßt die Kanne liegen, schlüpft durch das enge Loch in der Mauer zur anderen Seite. „Ihr müßt mit dem Abdrücken warten, bis die Ente ihren höchsten Punkt erreicht hat, da steht sie nämlich einen Augenblick still. Also los, noch mal!“

Die fünf Jungen auf der anderen Seite gehorchen ohne Diskussion. Sie sind alle deutlich größer als Carluccio, aber er kommandiert sie bereits wie ein Boß. „Bei fünf Schüssen knall' ich höchstens einmal daneben“, sagt er und stellt sich wieder in Position, „die da drüben aber sind Anfänger, obwohl sie tüchtige Burschen sind.“ Immerhin: Zwei Schüsse treffen diesmal. Carluccio schüttelt wieder den Kopf: Nicht leicht, solche Dummköpfe auszubilden.

Nach der Schießübung im reichlich übertrieben so genannten „Poligono“ (was den klassischen Schießplatz bezeichnet), nicht weit vom Corso Buono Bozzo, setzen sich die Jungen in eine Bar, die nicht einmal einen Namen hat, und üben Manöverkritik. Ohne jegliche Zurückhaltung und ohne daß sich jemand von den Anwesenden darüber wundert: Die Männer – Frauen sind keine hier zu sehen – daneben frühstücken ruhig weiter, kommentieren die Fußballergebnisse aus ihren Zeitungen und mampfen Hörnchen, aus denen manchmal ein gelber Vanilleklecks oder dunkle Schokolade tropft.

Ihre Pistolen haben die Jungen säuberlich eingepackt hinter einem Abfallcontainer deponiert – ohne jede Angst, daß die Müllabfuhr die Tüte versehentlich mitnehmen könnte. Zwei Smith & Wessons sind dabei, Kaliber 38, eine mit kurzem, eine mit langem Lauf, eine Beretta, auch eine alte deutsche Parabellum. Bei allen sind natürlich die Seriennummern weggefeilt.

Carluccio steht auch in der Bar im Mittelpunkt. Die Fernfahrer, die ihren Cappuccino geschlürft haben, die Gemüsehändler und die Fischer, die hier im Viertel Barra ihr Frühstück einnehmen, vergessen beim Verlassen des Lokals nie, einen schönen Gruß an Carluccios Vater auszurichten. Carluccio antwortet mit einem gönnerhaften „Sarà fatto“, wird gemacht.

Gerade mal zwölf Jahre ist Carluccio alt, ein klassischer rampòllo promettente, ein vielversprechender Sprößling. Sein Vater und sein Onkel, so jedenfalls die Gerüchte über die Familie im Viertel, betreiben nicht nur einen gutgehenden Autosalon, sondern hinter der Fassade auch noch allerhand andere Geschäfte. Welche? „Geschäfte eben“, sagen die Leute in der Bar. Weitere Nachfragen empfehlen sich nicht. Obwohl Carluccio bei derlei Fragen nicht mit der Wimper zuckt: Die Leute wissen, was sie sagen dürfen, vor allem aber, was nicht. Carluccio ist das lebende Beispiel dafür, daß in Neapel der Gangsternachwuchs keineswegs nur die Frucht von Armut und Verelendung ist. Das Autohaus hat schon der Großvater nach dem Krieg gegründet, die Familie hat seither ständig expandiert, ein Hotel an der Riviera gehört ihnen, mehrere Ferienwohnungen in Amalfi und bei Cortina D'Ampezzo. Nun soll eine Beteiligung an den millionenschweren Aufträgen zur Sanierung des Industrieviertels weitere Qualitäten erschließen: Carluccios Vater ist in den Bausektor eingestiegen.

Not hat Carluccio nie gekannt. Auch die anderen Jungen, mit denen er hier übt, seien keineswegs „Gesocks“, Armeleutekinder. Mit denen nämlich würde er sich nicht abgeben. Er sagt das ohne Arroganz. Das sei eben eine andere Welt, die der Armen, „aber auch die braucht man ja“, sagt er wie ein Boß, der einem die Zusammensetzung seiner Gefolgsleute darlegt. Dann merkt er am Grummeln seiner Kameraden, daß er sich wohl etwas zu stark als der große Kommandeur dargestellt hat, und das ruft in Neapel wiederum schnell Eifersucht und böse Reaktionen hervor. Es gilt die Devise: Nur wer auch bereit ist, sich selber die Hände schmutzig zu machen... „Du darfst nicht glauben, daß nicht auch ich schwer arbeite“, sagt Carluccio.

Er beweist es wenig später. Auf dem Grünen Markt malocht er wie ein Berserker. Mit einer Kraft, die ihm von seiner Figur her kaum zuzutrauen ist, stemmt er schwere Orangenkästen hoch, wuchtet sie auf Karren, zieht diese dann bis ans andere Ende der Halle und entlädt sie. Wahrscheinlich ist es diese Mischung aus kommandiersüchtigen und zum Schwitzen bereiten Burschen, aus armen und reichen, gerne legal arbeitenden, aber auch zum Griff nach der Pistole bereiten Jungen, die alle Bemühungen des linksliberalen Bürgermeisters Bassolino zur „Wiederlegalisierung“ der neapolitanischen Jugend heute wieder versanden läßt.

In diesen Tagen sei er, so meint jedenfalls einer der Markthändler, „ein bißchen nervös, der Kleine“. Einige Kisten rutschen ihm aus der Hand, ein Teil der Apfelsinen purzelt heraus. Verständlich: Seit vor einer Woche ein 14jähriger Junge kaltblütig durch einen Genickschuß getötet worden ist, sind auch all die anderen Nachwuchs-Camorristen auf der Hut. Denn der getötete Junge war ja nicht irgendwer, seine Familie stand einem der gefürchtetsten Camorra-Clans nahe. Wenn da hineingeschossen wird, heißt das Krieg und bedeutet mehr als all die in den Tagen vorher auf der Straße liegengebliebenen neun Leichen von Stadtgangstern.

Ansprechen darf man Carluccio auf diese Situation nicht. Angst, sagt er, habe er nicht im mindesten. Das aber sagt er überzogen laut: Alle sollen es hören. Ärgerlich aber sei er schon: „Jetzt wimmelt es hier wieder von Polizisten, ständig muß man sich ausweisen, die stören jedes auch noch so normale Geschäft.“ Von der Störung läßt sich allerdings nicht sehr viel ausmachen.

Zwar ist die Polizeipräsenz gerade in den östlichen Vierteln Neapels nach dem Mord beeindruckend, sie beschränkt sich aber vor allem auf Sichtbarkeit. Razzien, Festnahmen und besonders häufige Straßenkontrollen waren nur am Tag nach dem Mord und während der Beerdigung des ermordeten Giovanni Gargiulo zu bemerken. Auch können die Jungen völlig ungestört ihre Schießübungen machen... „Na ja“, sagt Carluccio, „hierher trauen sie sich sowieso nie.“

Eher wahrnehmbar sind die Sicherheitsmaßnahmen, die die Clans treffen. Männer, die in bestimmte Häuser hineinwollen, werden draußen vor der Tür abgetastet, aus bestimmten Autos steigen die Personen erst aus, wenn der Chauffeur und der Mann daneben die Gegend gemustert haben. Auch Carluccio ist vorsichtig. Bei jeder neuen Begegnung gibt es die diskrete Bitte, einen Augenblick mit auf die Toilette zu kommen – da wird dann abgetastet, ob man wirklich unbewaffnet ist und sein Versprechen hält, weder Fotoapparat noch Tonbandgerät dabeizuhaben. Kamerateams des staatlichen Fernsehens RAI werden unverzüglich verscheucht, oder sie müssen mit Polizeieskorte herumfahren – und finden dann, wie verhext, nur leere Plätze und kaum noch Verkehr.

Was Carluccio an diesem Tag besonders verärgert, ist, daß „wir uns eine neue Piste suchen müssen“. Weil der ermordete Junge eine große Leidenschaft für Pferde hatte und sich wohl an illegalen Rennen beteiligte, hat la Repubblica einen Artikel über heimliche Wetten mit riesigen Einsätzen publiziert und ausgerechnet die im Ostteil Neapels besonders beliebte Via Argine beschrieben. Seither fürchten die illegalen Broker und die Pferdebesitzer, daß die Polizei mit der Finanzwache an dieser mehrere Kilometer langen, schnurgeraden Strecke im Hinterhalt liegt.

Doch das Geschäft muß weitergehen, und so haben die Veranstalter schon tags darauf eine Ausweichstrecke gefunden, provisorisch jedenfalls. Die Strecke liegt zwischen den Vierteln Barra und Ponticelli, ist wesentlich kürzer als die Via Argine und auch schlechter asphaltiert.

Dennoch ist die Kunde bei den Eingeweihten innerhalb weniger Stunden herum, und das Ganze läuft genauso ab wie an der Via Argine: Im Morgengrauen rücken fünf oder sechs große Pferdetransporter an, einige schwere Limousinen stellen sich am Anfang und am Ende der ausgesuchten Strecke quer und halten den Verkehr an: „Da vorne sind gerade kurzzeitig Arbeiten im Gang, haben Sie bitte etwas Geduld.“

Die Einsätze werden innerhalb weniger Minuten entgegengenommen, und schon sausen die Pferde mit den Sulkys los: Drei Minunten pro Rennen, nach einer Viertelstunde ist die Straße wieder frei. Die Regeln sind rigide wie in einem klassischen legalen Rennen, es gibt Zielrichter und eine Jury. „Wahrscheinmlich wird hier viel weniger geschwindelt als beim richtigen Pferderennen“, meint Carluccio, „wenn hier einer manipuliert, geht das nicht mit einer Geldstrafe oder Gefängnis ab.“ Und er macht die Geste des Halsdurchschneidens.

Danach geht es wieder in eine Bar, man muß die Ergebnisse ja durchsprechen, neugekaufte Pferde kommentieren, Verabredungen treffen für einige Exkursionen in andere Viertel, wo es auch Rennen gibt.

Ob Carluccio sich ein anderes Leben vorstellen kann? Er blickt erstaunt auf und sagt nichts. Die Frage erscheint ihm offenbar ziemlich dumm.

Nach einiger Zeit findet er aber doch, daß er etwas drauf antworten sollte. „Was willst du denn? Ich habe hier alles, was ich will.“ Dann zeigt er auf ein paar Mädchen, die untergehakt zur Schule streben – was Carluccio nur ab und an tut. „Auch eine gute Braut kriege ich, wenn ich will.“ Er grinst. „Auch wenn du mich für einen bösen Camorristen hältst.“

Sein Blick wird triumphierend: „Hast du in der Zeitung gelesen von dem Wettbewerb, in dem die Schüler zum Thema ,Wie ich mir mein künftiges Leben vorstelle‘ schreiben mußten? In unseren Vierteln hat mehr als die Hälfte der Mädchen geschrieben, daß sie sich einen Camorristen zum Mann wünschen.“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen