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■ Statt der Etikette des „Darüber spricht man nicht“ brauchen wir eine neue Debatte über Privatheit und ÖffentlichkeitVon Ehekriegen und Hahnenkämpfen

Jetzt kommt wieder alles in einen Topf. Der uralte Streit, ob Männer im Stehen oder Sitzen pinkeln sollen, zum Gespräch unter Ehefrauen über ihre pornoglotzenden Männer. Und, klar doch, die Berichte über Schröders Beziehungskiste schmeißen wir auch noch dazu, alles die gleiche Soße, und das Ganze heißt dann: Privatsphäre. Über die spricht man nicht, das sollte ein wohlerzogenes Publikum doch wissen. Die Beobachter der Medienszene klagen mal wieder über Kulturverfall.

Aber Bild macht Auflage damit. Und nicht nur Bild. Sogar das Abendessen des heimatlosen Herrn Schröder scheint berichtenswert. Immerhin mußte er nicht in die Pommesbude, so ein Glück! Die etwas feineren Medien mokieren sich darüber, wie hier das Private zum Öffentlichen gemacht wird, ein elegantes Manöver, das Thema aufzugreifen. Nur die „Tagesthemen“ versäumten Schröders Trennungsdrama und entschuldigten sich dafür öffentlich. Das sei ein „Fehler“ gewesen.

Immerhin war es das Thema der Woche. Wobei der Schwarze Peter an die Schröders ging: Weil sie sich in Talkshows „als Traumpaar der Öffentlichkeit aufgedrängt“ hätten (Abendzeitung), kriegten sie jetzt die „Quittung“ (FAZ). Und auch die taz stimmte in den Medienchor ein: „Ein bißchen sind die Schröders ja auch selbst schuld ...“ Strafe muß sein. Eine bemerkenswerte Logik: Wer öffentlich über Privates redet, ist vogelfrei. Dann brechen einfach alle Dämme.

Das ist der Tenor jener kulturpessimistischen Beiträge, die regelmäßig zu solchen Anlässen recycelt werden. Der Schutz der Privatsphäre sei unverzichtbar für die Demokratie. Aber über den Begriff des Privaten räsoniert wohlweislich keiner. Womöglich müßte man dann differenzieren: zwischen dem Zwangsouting einer bisexuellen Moderatorin durch einen heruntergekommenen Kollegen und dem freiwilligen Reden von Frauen über ihre pornobrünstigen Partner. Man müßte unterscheiden zwischen dem Ehepaar, das in einer Talkshow so viel über die eigene Ehe erzählt, wie es will (und sei es im Dienste des Wahlkampfs), und den schnüffelnden Berichten auflagenwütiger Journalisten über das gleiche Thema. Statt das Kind mit dem Bade auszuschütten, könnte man neu über Privatheit und Öffentlichkeit reden. Daß die Etikette des „Darüber spricht man nicht“ ins Wanken gerät, birgt Chancen.

Worüber spricht man nicht? Nehmen wir eine ziemlich alltägliche Geschichte. Anfang der Achtziger stellte ich mich zu Beginn eines Praktikums beim Geschäftsführer des Betriebes vor. Zum Abschied überfiel er mich plötzlich mit einem Zungenkuß. Ein fetter, kleiner, alter Mann. Mehr passierte nicht, ich fand es eklig genug. Eine Kollegin warnte mich später – unter vier Augen – vor diesem Mann, wegen dessen Nachstellungen schon eine Sekretärin den Dienst quittiert hatte. Ich wußte also, daß ich nicht allein war. Trotzdem habe ich die Szene völlig neu eingeordnet, als in der Öffentlichkeit die Debatte über sexuelle Belästigung in Gang kam. Da fand ich's nicht mehr peinlich, darüber zu reden, und fühlte mich auch Reaktionen gewachsen, die da heißen konnten: Warum hast du ihn nicht geohrfeigt, nicht zur Rede gestellt? Vor allem aber fragten die Kollegin und ich uns nun, warum wir Frauen alle vor diesem Mann in Deckung gegangen waren. Warum hatte die Sekretärin lieber gekündigt, statt ihn anzuzeigen?

Eine – im Vergleich – harmlose Geschichte. Das Schweigen über vermeintlich Privates hat weit dramatischere Dimensionen: Gewalt in Familien, für die niemand belangt wird; Homosexuelle, die sich ihr Leben lang verstecken; sexueller Mißbrauch, den sich die Opfer häufig selbst nicht eingestehen können. Alles Bereiche, in denen sich in den vergangenen Jahren manches bewegte, weil man endlich öffentlich darüber redete.

Es gibt in diesem Land eine Frauenbewegung, die einmal den Slogan ausgab: „Das Private ist politisch.“ Gemeint war damit sicher nicht, Eheprobleme von Politikern öffentlich zu zerpflücken. Aber die Frauen beanstandeten eine konstruierte Trennung zwischen Privatem und Öffentlichem. Sie zeigten, daß das Private politisch bestimmt ist – und umgekehrt. Das Schweigen über das Private hat Frauenarbeit und Frauenunterdrückung unsichtbar gemacht. Und es kommt nicht von ungefähr, daß bis heute Themen aus dieser Privatsphäre als banal und einer öffentlichen Diskussion unwürdig gelten. Hier liegt der Hund begraben. Wenn heute ein bißchen mehr über das Privatleben von Politikern geredet wird, schadet das gar nichts. Es könnte an der Ideologie kratzen, daß Politiker ihre Entscheidungen auf einer keimfreien Sachebene treffen, unbeeinflußt von ihrem privaten Leben.

Und wenn Frauen öffentlich darüber debattieren, was es für sie bedeutet, wenn ihre Partner sich an Pornos aufgeilen, halte ich das für mehr als eine „Quatschorgie“ (Sonntagsblatt). Der Knackpunkt ist ein anderer: Es geht um die Art, wie berichtet wird. Wir haben noch keine Kriterien für angemessenes öffentliches Reden über „Privates“, weil es abgewertet und in die zweitklassigen Medien gedrängt ist. Für Politik haben wir Maßstäbe, auch wenn viele dort abgehaltenen Sujets ausgesprochen banal sind (etwa die Hahnenkämpfe zwischen Lafontaine und Schröder). Die politische Berichterstattung privater Fernsehsender ist zum Teil grauenhaft, aber niemand kommt deshalb auf die Idee, das Thema Politik für überflüssig zu halten. Leider aber haben wir kein öffentlich-rechtliches Fernsehen, das anspruchsvoll über „Privates“ berichtet und Qualitätsmaßstäbe zumindest ahnen läßt.

Es soll überhaupt nicht bestritten werden, daß einem beim gegenwärtigen Trend der Medien zur Boulevardisierung oft einfach nur das Würgen kommt. Aber ebenso klar ist, daß diese Themen ein Bedürfnis bedienen. Ich glaube nicht, daß es nur Voyeurismus ist. Es gibt auch den Wunsch, sich über Themen auszutauschen, die unser aller Alltag dominieren. Das Problem ist, daß wir keine Kultur haben, öffentlich über diese Dinge zu reden. Eine Debatte hierüber würde sehr viel weiter bringen, als das ewige Lamentieren über eine längst eingetretene Realität: die Veröffentlichung des „Privaten“. Neue Qualitätsstandards – und Grenzen – müssen her. Dazu zählt sicher die Freiwilligkeit von Aussagen (wobei auch dieser Begriff nicht immer leicht zu bestimmen ist) Zwangsouting müßte jedenfalls tabu sein, die Grenzen des Preisgebens das Individuum setzen. Herr Schröder sollte sein Gulasch im Notquartier essen können, ohne daß ihm die Republik dabei über die Schultern sieht. Friederike Herrmann

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