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■ Eine Reise durchs biblisch-amerikanische AllgäuVon Bethlehem nach Texas in fünf Minuten

Bethlehem/Texas (taz) – Heinrich Hutter lehnt sich zufrieden zurück in seiner Eckbank am Eßzimmertisch und grinst übers ganze Gesicht. Eine Reise von Bethlehem nach Texas – kein Problem, meint der Ex-Bürgermeister, der sich auch als humorvoller Heimatdichter einen Namen gemacht hat. „Das ist in allerkürzester Zeit zu schaffen! Fünf Minuten mit dem Auto.“ Viele Jahre lang hat er die Geschicke von Bethlehem, einem Ortsteil der Gemeinde Lengenwang im Ostallgäu, geleitet. „Auf der Straße sind es drei Kilometer, Luftlinie nur zwei. Ich kann von meinem Haus aus die Hügel von Texas sehen.“ Im Allgäu, meint er, sei eben vieles möglich.

Immerhin zehn Häuser und 35 Einwohner zählt Bethlehem. Die Frage, ob sie denn hier alle mit einem Heiligenschein durch die Gegend laufen, gefällt dem einstigen Gemeindechef. „Der ein oder andere würde ihn sicher verdienen. Wir haben brave und nicht ganz so brave Leute bei uns.“ So richtig heilig geht es hier freilich nicht zu, eher hintersinnig humorvoll, so wie das nun mal im Allgäu üblich ist. Seine Frau freut sich immer wieder, wenn Urlaubsgäste aus dem Norden schreiben und sich an Bethlehem im Ostallgäu erinnern. Eine Familie aus Sylt beispielsweise meldet sich immer wieder mal. Hutter weiß von einer ganzen Reihe mitunter recht kurioser Erlebnisse im Zusammenhang mit dem ungewöhnlichen Ortsnamen zu berichten. Da war zum Beispiel die Autorenlesung des Mundartdichters Hutter in München. Zwanzig Jahre lang war er als Fußballschiedsrichter in Süddeutschland unterwegs. Und einmal, bei einer Weihnachtsfeier bei einem befreundeten Fußballclub, da mußte auch sein in München lebender Bruder schmunzeln. Denn er wußte sofort, was es geschlagen hatte, als er mitbekam, was da in der Zeitung angekündigt war. „Er hat mich angerufen und gefragt, bist du das, der beim FC Taxa Weihnachtsgeschichten und Gedichte vorträgt? Ich hab' nämlich gelesen, der Bürgermeister von Bethlehem liest Mundartgedichte!“ An diesem Abend, so Heinrich Hutter, habe der befreundete Fußballverein in der Landeshauptstadt besonders viele Besucher begrüßen können.

Woher aber kommt dieser ehrwürdige und fürs Allgäu doch merkwürdige Name Bethlehem? Heinrich Hutter stieß auf eine recht unbiblische Erklärung. „Bethlehem kommt von Bettelheim“, und das wiederum liege daran, daß am Rande des wohlhabenden Bauerndorfes Lengenwang einige schlichte Häuser errichtet wurden. Immer wieder machen Urlauber am Ortseingang von Bethlehem halt zum Fototermin. „Da muß dann das Schild mit drauf und die Oma und der Hund und das Auto.“

Nicht weniger gern wird das Ortsschild von Texas fotografiert, wo es dieser Tage sogar ein „Herzblatt“-Kamerateam hin verschlagen hat. Doch während Bethlehem offiziell Bethlehem heißt, lautet die amtliche Ortsbezeichnung von Texas Kippachmoos. Umgetauft nach einer durchzechten Nacht ist jedoch der richtige Name des Weilers längst in Vergessenheit geraten. Die Familie Höldrich, vor kurzem aus Oberammergau hierhergezogen, weiß davon ein Lied zu singen. „Wenn ich beim Einkaufen im Nachbarort gefragt werde, woher ich denn komme, dann sag' ich, aus Texas, denn Kippachmoos kennt hier keiner“, erzählt Elisabeth Höldrich. Inzwischen gibt es sogar einen Radwanderweg, der nach dem Weiler Kippachmoos benannt wurde – den Texas-Radwanderweg. Die Neubürger aus Oberammergau haben sich bereits voll und ganz auf ihren neuen Wohnort eingerichtet und zwei Pferde gekauft. Das offizielle Weilerschild von Kippachmoos liegt, wegen Bauarbeiten, am Wegrand. Doch das Ortsschild Texas mit den überkreuzten Colts steht aufrecht neben der Wiese, wo es sich die Pferde gutgehen lassen.

Wer von Texas aus noch einen kleinen Ausflug unternehmen möchte, kann ja einen Abstecher ins nur wenige Kilometer entfernte Heiland einplanen. Wer jedoch seine „heilige“ Reise in Ewigkeit beenden möchte, muß noch gut 50 Kilometer weiter fahren. Denn Ewigkeit heißt ein Ortsteil von Herlazhofen bei Leutkirch, und das liegt schon im württembergischen Teil des Allgäus. Klaus Wittmann

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