Vom letzten Austausch vor dem Sterben : Das Schweigen der Kriegskinder
Jürgen Wiebicke über sein neues Buch „Sieben Heringe“, über eine Generation, die den Krieg mit voller Wucht abbekam und Parallelen zur heutigen Zeit.
Was wissen wir wirklich über das Leben unserer Eltern, der Kriegskinder? Wann ist der richtige Zeitpunkt, zum Archäologen des eigenen Lebens zu werden und die Eltern zu befragen? Als sich für die Mutter von Jürgen Wiebicke das Lebensende abzeichnete, wollte er es besser machen als beim Tod des Vaters.
Mit beiden führte er – in dieser Intensität zum ersten Mal – Gespräche über deren Leben und Erfahrungen, damit die Erlebnisse der Generation, die Krieg und Nationalsozialismus als Jugendliche miterlebt hat, nicht mit dem Tod verschwinden. Doch nur bei der Mutter schrieb er mit.
Alles aufzuschreiben scheint besonders wichtig, weil die Geschichtsleugner und Hassbereiten wieder aus den Löchern kriechen, während die letzte Generation der Zeitzeugen abtritt. Liegt das auch daran, dass Zyklen von Krieg und Frieden mit verblassender Erinnerung zusammenhängen?
Parallelen zur heutigen Zeit
Jürgen Wiebicke erzählt in seinem neuen Buch „Sieben Heringe“ exemplarisch von einer Generation, die den Krieg mit voller Wucht abbekam, und zieht die Parallelen zur heutigen Zeit. Und er schreibt über das Sterben und den Tod in der heutigen Gesellschaft, für die der Umgang mit dem Thema Endlichkeit immer problematischer wird.
Jürgen Wiebicke folgt den Berichten seiner Eltern, die konfrontiert mit dem Tod von einer radikalen Offenheit getrieben sind und ihre Erlebnisse nicht mehr für sich behalten wollen. „Man hat den Tod eines Menschen mit dem Brand einer Bibliothek verglichen. Bestimmte Geschichten können anschließend nicht mehr erzählt werden. In dieser Hinsicht ist der Tod ein einziger Skandal, ein großer Vernichter.“
Das Schweigen der Kriegskinder – ein taz Talk im Rahmen von „Leipzig liest extra“ mit:
Jürgen Wiebicke ist freier Journalist. Seit 14 Jahren moderiert er wöchentlich „Das philosophische Radio “ auf WDR5. Sein Buch „Dürfen wir so bleiben, wie wir sind? Gegen die Perfektionierung des Menschen – eine philosophische Intervention“ erschien 2013. 2016 folgte „Zu Fuß durch ein nervöses Land – auf der Suche nach dem, was uns zusammenhält“ und 2017 „Zehn Regeln für Demokratie-Retter“. Er gehört zu den Programm-Machern der phil.Cologne, des Internationalen Festivals der Philosophie. Sein Buch "Sieben Heringe" ist im Verlag Kiepenheuer & Witsch erschienen.
Jan Feddersen ist taz-Redakteur für besondere Aufgaben seit Ewigkeiten. Er kuratiert mit Hingabe die taz Talks und das taz lab, den großen taz-Kongress, er arbeitet als Autor und führt Interviews. Und er ist Mitherausgeber des Jahrbuchs Sexualitäten (Wallstein Verlag). Seine Interessen: Vergangenheitspolitik seit 1945, Popularkulturen aller Arten, besonders der Eurovision Song Contest, politische Analyse zu LGBTI*-Fragen sowie zu Fragen der Mittelschichtskritik.
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