: Vom Versuch, ohne Geschichte zu sein
■ Jüdischer Glaube als Folie: Arnon Grünbergs Bar Israel beim Festival Die Wüste lebt
Eigentlich war die Inszenierung schon fertig. Dann kam dieser Tag Anfang Juni, an dem in der Diskothek von Tel Aviv die Bombe hochging und 21 junge Menschen in den Tod riss. Danach, sagt der Theaterregisseur Christoph Diem, wisse er nicht, ob er nicht doch einiges ändern müsse an seiner Bar Israel. Mit diesem Stück wird er beim diesjährigen 6. Festival junger Regisseure und Schauspieler Die Wüste lebt in den Hamburger Kammerspielen dabei sein. Wie die meisten Teilnehmer des Festivals ist Christoph Diem Absolvent des Studienganges Schauspieltheater-Regie am Institut für Theater, Musiktheater und Film der Universität Hamburg. Sein Meisterstück legte er vor zwei Jahren mit der Diplominszenierung Gipsy Hill nach Tirso de Molina vor. Vor drei Jahren wirkte er bereits mit Der Untergang des Johann Fatzer bei Die Wüste lebt mit. Seitdem arbeitet er frei.
Die Szenerie seiner neuen Arbeit: eine Bar an einem Ort, von dem nur bekannt ist, dass es dort heiß ist und er mitten in der Wüste liegt. Eine Art Fata Morgana. Vier junge Menschen wollen sich amüsieren und treffen mit ihren Hoffnungen und Sehnsüchten aufeinander. Das geht nicht immer sanft vor sich, denn bekanntlich kommt es dabei häufig zu schmerzlichen Kollisionen.
Die Bar, die Diem für Bar Israel nach dem Theaterstück You Are Also Very Attractive When You Are Dead von Arnon Grünberg und Motiven aus dessen Roman Blauer Montag entwickelt hat, könnte genau an jener Promenade von Tel Aviv liegen, die zum Ort unvorstellbarer Tragik wurde. Es herrscht dieselbe Schwüle, es manifestieren sich dieselben Sehnsüchte.
Der Niederländer Grünberg, Jahrgang 1971, ist nur ein Jahr jünger als Diem. In seinem Werk verbindet er Gedanken über die Nöte seiner Generation mit seinem jüdischen Glauben. Für Diem ist das die Folie. Anhand der Suche der Juden nach dem Gelobten Land will er das Streben der heute über Dreißigjährigen nach Sinn und Erfüllung darstellen. Israel als Chiffre.
In fünfzig Episoden, die in Short-Cuts-Manier aufeinander folgen, begegnen sich zwei junge Männer und zwei Frauen. Sie kommen nicht zusammen, weil sie versuchen, ohne Geschichte zu sein. Sie fragen sich, was geht uns dieser Krieg an? Wir wollen doch nur leben. Doch ein Leben ohne Geschichte kann es nicht geben. „Mich interessiert dieses Grundprinzip der Verlorenheit in den Figuren, es sind Nachtgestalten, die trotzdem immer wieder aufstehen“, sagt der Regisseur.
Ähnlich ergeht es den heute Dreißigjährigen, die realisieren, dass sie bestimmte Richtungsentscheide schon getroffen haben und doch getrieben sind von einem Drang nach Legitimation. „In dem Stück bemühen sich die Personen darum, Teil des Spiels zu sein und werden enttäuscht. Aber bei der Suche nach den anderen finden sie schließlich sich selbst,“ so Diem. Wie in Grünbergs 1994 veröffentlichten Roman Blauer Montag. Darin erzählt er die Lebensgeschichte eines jungen Mannes, der nicht recht weiß, wohin er gehört. Einerseits zählt er zur zweiten Generation der Holocaust-Opfer, andererseits fühlt er sich als relativ wertloser Bestandteil der „Generation Nix“. Genauso hadern für Diem hierzulande viele Dreißigjährige mit der Konsumgesellschaft, in die sie hineingeboren wurden. Sie spüren die Leere einer Generation, die sich nur schwer den eigenen Platz in einer auseinander driftenden Gesellschaft erkämpft. Trotz aller Desillusionierung soll es aber kein deprimierendes Stück werden. Annette Stiekele
Mittwoch, 20 Uhr, Amerikahaus, Tesdorpfstraße 1
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