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Vom Tod reden und jeden Tag leben

Sie malt, medidiert und macht das Beste aus jedem Tag: Monika hat Krebs, und sie hat gelernt, mit der Krankheit umzugehen. Geholfen haben ihr Ärzte und Schwestern auf einer Palliativstation  ■ Aus Berlin Karin Wenk

„Seitdem ich von meiner Krankheit weiß und mich damit auseinandersetze, lebe ich maßvoller. Andere Dinge als früher sind wichtig. Es ist ein Gefühl wie neu geschlüpft, ein anderes Leben“, sagt Monika. Die ohnehin zierliche 35jährige Frau hat durch die Krankheit in den letzten Wochen noch einige Pfund verloren. Das Gesicht mit den hellen, fröhlichen Augen ist spitzer geworden. Doch Monika gehört, wie sie selbst sagt, zu den „Frohnaturen“. Sie lacht und plaudert gern und ging oft tanzen, früher.

Seit Oktober vergangenen Jahres kennt sie die Diagnose: Krebs, unheilbar. Anfangs ein Schock und dann bohrende Fragen nach dem Warum und Wie weiter. Das Team auf der Palliativstation im Krankenhaus Spandau in Berlin half ihr, Antworten zu finden, mit der Krankheit umzugehen. Palliative (schmerzlindernd, begleitend) Betreuung umfaßt weit mehr als die Verabreichung schmerzstillender Mittel. „Die Lebensqualität eines solchen schwerkranken Menschen steht im Mittelpunkt. Die Frage ist nicht, wie lange, sondern wie jemand mit seiner Krankheit lebt“, sagt der Stationsarzt Dirk Lampe.

Psychische Zuwendung, das Gespräch über die Krankheit, die Betreuung der Angehörigen, langsame Annäherung an das nicht faßbare Thema Tod – das hilft den Palliativpatienten, ihren letzten Lebensabschnitt nach eigenem Willen zu gestalten. Die heilende Medizin ist bei diesen Krebsleiden an ihre Grenzen gestoßen. Die überwiegend weiblichen Patienten, die hierherkommen, „sind wach“ und „aufgeklärt“ über ihre Erkrankung, so Lampe. Sie haben Schmerzen, leiden an Übelkeit, Erbrechen, Ernährungsstörungen und haben Angst. Dennoch wollen sie ihr „Problem mittelfristig in den Griff bekommen“, noch etwas vom Leben haben. Das heißt bei vielen auch: nach Hause, die Kinder sehen ...

Diese erste Palliativstation Berlins gibt es seit Oktober 1991. Heute können dort 10 Patienten in Ein- und Zweibettzimmern aufgenommen werden. Im Aufenthaltsraum, der wie ein bequemes Wohnzimmer eingerichtet ist, kann sich, wer will, an den gemeinsamen Mahlzeiten beteiligen, mit den Verwandten Kaffee trinken, Musik hören oder unterhalten.

Monika verbrachte einmal in der Woche einen ganzen Tag auf der Station, bekam Chemotherapie und ging zur Psychologin. Als es ihr schlechter ging, mußte sie länger im Krankenhaus bleiben, um dann wieder nach Hause zu können. „Den Krebs stoppen, das ist die halbe Miete“, sagt Monika, obwohl sie weiß: „Ganz gesund werden ist wie ein Fünfer im Lotto.“ Aber den gibt es schließlich. Und auch an Wunder glaubt sie – warum nicht?

Dennoch studiert die zerbrechlich wirkende und doch starke kleine Frau Medizinbücher. Sie beschäftigt sich mit Schonkosternährung, die dem Körper soviel Kraft wie möglich geben kann und gleichzeitig ohne Medikamente Schmerzen in Darm und Leber vermeidet. Neue Kochrezepte ausprobieren macht sogar Spaß, „Gemüseaufläufe zum Beispiel sind lecker“, sagt sie – wie so oft lachend. Die Tips für den Lesestoff in Sachen Medizin und Psyche hat Monika vor allem von der Stationspsychologin Regina Schütz. Mit ihr kann sie über die „großen und kleinen Wehwechen“ sprechen, einfach über alles, was sie bewegt.

Eine weitere Therapieform für Palliativpatienten ist die Visualisierung. Monika versucht, das Besprochene, ihre Gefühle und Gedanken zu malen. Auf einer ihrer Zeichnungen sind die Metastasen kleine tropfenähnliche Männlein, die sich versammeln und umherwandern im Körper. „Sie sehen fast lustig aus, sind aber meine ärgsten Feinde. Und so stelle ich sie mir vor“, sagt die Zeichnerin etwas verlegen. Auf Anregung von Regina verwendet Monika zu Hause viel Zeit für Meditation. Nach den Übungen fühlt sich Monika wohler, so kann sie Kraft sammeln. Kraft, mit der ihr Körper auch Antikörper gegen den Krebs bilden kann – davon ist sie überzeugt.

Das hier ist „keine Abschiebestelle für Sterbende“, erklärt Regina Schütz. „Es ist falsch, die palliative Betreuung auf Tod zu begrenzen, wie es die Öffentlichkeit oft tut.“ Ginge es nur um den Tod, würde sie selbst hier nicht arbeiten. Es gehört zum Konzept, die Patienten und ihr Umfeld aufzubauen, damit sie so gut wie möglich und ohne Schmerzen mit ihrer Krankheit leben können. „Der Mensch ist eben nicht nur Körper“, meint die Psychologin. Deshalb gehörten zur Schmerztherapie das Gespräch, manuelle Therapie und Physiotherapie. Was die Patienten in Anspruch nehmen, entscheiden sie selbst. Sie werden in alles, was sie angeht, einbezogen.

Monika hat zu ihrer Psychologin ein freundschaftliches Verhältnis entwickelt: „Sie ist ein Mensch, der einen aufrichtet, der immer versucht, das Positive zu sehen, jemand, den man liebgewinnt.“ Mit ihr kann Monika auch über den Tod reden: „Regina erklärt es so, daß man keine Angst haben muß.“ Nur der Körper werde verlassen, die Seele wandere weiter. Auch die katholische Seelsorgerin auf der Station ist Ansprechpartnerin und „Freundin“ für Monika. Bei ihr könne die Christin „den da oben anklagen“, fragen, warum er das mit ihr mache, aufbegehren.

Auch für den Partner ist es nicht einfach, mit dem Wissen um Monikas Zustand klarzukommen. Seit zwölf Jahren leben sie zusammen. „Für uns brach eine Welt zusammen, als wir von der tödlichen Krankheit erfuhren“, sagt Monika. Dennoch steht er ihr seitdem zur Seite. Er spricht ihr Mut zu, wenn sie aufgeben möchte. „Unsere Beziehung ist noch fester geworden“, sagt sie. Über das Sterben reden sie nicht. „Schließlich haben wir noch viel vor.“ Gemeinsam träumen sie vom Urlaub, und geheiratet werden soll auch.

Große Pläne, zu große? Wer weiß, Prognosen werden auf der Palliativstation nicht abgegeben. „Wir sagen den Patienten: Lebt heute. Wenn es Euch gut geht, genießt das in vollen Zügen. Geht es Euch an einem Tag schlechter, nun, dann werden wir sehen, was morgen ist“, so Christine Klapper. Sie ist seit mehr als drei Jahren Krankenschwester auf der Station. In dieser Zeit sind viele Patienten „gegangen“. „Aber das gehört zum Leben, sich kennenlernen, sich trennen. Und Abschied nehmen tut immer weh, niemand kann das ändern.“ Wichtig sei die Bereitschaft, sich mit Sterben und Tod auseinanderzusetzen. „Auch mein Leben ist seitdem viel bewußter geworden. Ich will nicht mehr so weit vorausschauen. Das, was man hat, festhalten“, sagt Christine.

Zu Monika hat Schwester Christine ein enges Verhältnis. Sie sind im gleichen Alter, wohnen im gleichen Kiez. Viel miteinander reden, die Patientin wie eine Freundin in den Arm nehmen und auch miteinander weinen, wenn schlechte Nachrichten aus dem Labor kommen, gehört hier zum Alltag. „Diese Offenheit macht es möglich, im nächsten Moment wieder miteinander lachen zu können“, meint Christine. Nein, vor zuviel Nähe hat die Krankenschwester keine Angst. „Es ist ja ein bewußtes Sich-darauf-Einlassen für alle, die hier arbeiten“, sagt sie. Und das Gute am Team ist, daß sich die Lasten verteilen.

Die Schwestern der Palliativstation haben sich freiwillig hierher versetzen lassen. Sie verbringen mehr Zeit mit den Patienten und das intensiver, als es in anderen Abteilungen des Krankenhauses der Fall ist. Gemeinsam versuchen die acht Schwestern und Pfleger, zwei Ärzte (auf anderthalb Stellen), die Psychologin und die Angehörigen herauszubekommen, was die Patienten noch erreichen wollen und wie ihnen dabei geholfen werden kann.

„Es ist ein Phänomen, aber die Patienten erledigen die Sachen, die für sie wichtig sind, bevor sie gehen. Das ist bei 99 Prozent der Kranken so.“ Schwester Christine erinnert sich an eine Frau, die sich ins Bett legte, um zu sterben, nachdem sie erkannt hatte, daß sie das, was sie gern mochte – etwa ihren Garten pflegen – nicht mehr tun konnte. Eine andere habe trotz ständiger Verschlechterung ihres Gesundheitszustandes vom Bett aus die Familie dirigiert und die Versorgung der Kinder und der Mutter organisiert. Erst als alles getan war, starb sie. Auch zu Monika hat Christine schon gesagt: „Du wirst erst gehen können, wenn es soweit ist, keinen Tag vorher.“ Bis dahin sei kämpfen angesagt. Schließlich sei ihr nie was in den Schoß gefallen, meint Monika: „Ich bin ein kleiner Kämpfer und gebe die Hoffnung nicht auf.“

Das Palliativteam weiß: Ebenso wie die Patienten benötigen auch deren Angehörige Beistand und Hilfe. Sie sind unerfahren und ängstlich im Umgang mit der Krankheit. Besonders in den letzten Tagen und Stunden versuchen Ärzte, Pfleger und Schwestern, auf individuelle Wünsche einzugehen. So übernachten Freunde und Angehörige auf der Station, verbringen die Zeit mit ihren Lieben, helfen bei der Versorgung. In den Zweibettzimmern werden mitunter die Betten zusammengeschoben, damit die Partner die letzte Nacht nahe beieinander verbringen können.

Es sei nicht so schwer, einen Patienten „loszulassen“, wenn diesem letzten Moment eine Vielzahl von Gesprächen über das Leben, das Sterben, die Trauer, den Tod vorausgegangen seien, sagt Schwester Cristine. Es bleibe dann eine Fülle von Eindrücken zurück, nicht Leere, und das Wissen, daß der Patient sich geborgen fühle und man dazu beigetragen habe. Ein Patient, erinnert sie sich, hörte stets klassische Musik bei Kerzenschein. Als er starb, war sein Zimmer mit Kerzen ausgestaltet, Musik erklang, und die Familie nahm Abschied. „So wollte er es, wußten wir. Das war ein gutes Gefühl.“

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