: Vom Stapel geschlingert
■ Aus Bremen in den Rest der Welt: „Archicultura“, eine neue Kulturzeitschrift fürs Mitteleuropäische
Wer eine neue Kulturzeitschrift auf den Markt wirft, muß seine Sache schon recht selbstbewußt vertreten. Nils Aschenbeck tut genau dies: Als Bremer Herausgeber von „Archicultura“ preist er seine „Jahresschrift für die regionalen Kulturen Mitteleuropas“ über die Maßen. Engagiert und entdeckungsfreudig sollen die Beiträge sein; wissenschaftlich, aber nicht akademisch; zunächst sogar experimentell und unkommerziell. Außerdem soll „Archicultura“ mal eine populäre Zeitschrift werden und zugleich dem Kulturwissenschaftler ein „unverzichtbares Kompendium“ sein. Das ist eine beträchtliche Fracht; bei der Jungfernfahrt (Thema: „Flußkulturen“) kam das neue Projekt denn auch gleich ins Schlingern.
Den unsteten Kurs verdankt die Mannschaft wohl vor allem den vieldeutigen Kommandos ihres Kapitäns Aschenbeck. Dieser klärt nämlich nicht darüber auf, wohin die Reise eigentlich gehen soll. Das Ziel „Mitteleuropa“ wird nirgends genauer eingegrenzt. Und so verfahren die Autoren nach Belieben und rudern in alle Richtungen davon.
Da schreibt Claudio Magris nicht über die Donau, sondern über die Entstehung seines monumentalen Buches „Danubio“. Über die dort ansässigen Kulturen ergibt das freilich herzlich wenig. Zwei Essays widmen sich dem persönlichen Erleben einer Elb- bzw. Mainflußfahrt. Das ist recht unterhaltsam und manchmal von einer Sprachmächtigkeit, die man in anderen Kulturzeitschriften wohl vergebens sucht. Ob es der Kulturwissenschaft nutzt, wenn ihr der Main als „von leiser Heiligkeit durchsungene Landschaft“ nähergebracht wird, ist eine andere Frage.
Land sieht der Leser allein in dem Aufsatz über „Deutschlands älteste Flußkultur“ — die der Mosel nämlich. Kurze, präzise und dennoch sehr anschaulich illustrierte Hinweise geben ein Bild vom Werden der „von regionalem Gemeinschaftssinn getragenen Moselkultur“. Schade nur, daß wir nicht mehr über den Autor Rudolf Walter Leonhardt erfahren — Aschenbeck hat (mit einer Ausnahme) auf biografische Daten verzichtet, und auch über der Entstehungszeit der Texte liegt dichter Nebel. Vielleicht sollte der Kapitän demnächst stärker auf solche Essentials achten und die Überlast seiner Ansprüche über Bord werfen. In Ausgabe zwei ist immerhin ein etwas klarerer Kurs in Sicht: Unter dem Thema „Zerstörte Städte — kulturelle Identität“ widmet sich „Archicultura“ der Region Kroatien. Thomas Wolff
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