Vom Retter zum Nazi-Kollaborateur: Er galt als Italiens Schindler
Zahlreiche Straßen und Plätze in Italien sind nach Giovanni Palatucci benannt. Das Centro Primo Levi in New York spricht ihm nun die Heldentaten ab.

Auch in Israels Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem wurde Palatucci geehrt. Bild: reuters
NEW YORK afp | Der Italiener Giovanni Palatucci, der wegen seiner Rolle bei der Rettung tausender Juden während des Holocaust vielfach geehrt wurde, war laut neuen Recherchen in Wahrheit ein Kollaborateur der Nazis.
Palatucci sei niemals Polizeichef von Fiume gewesen und habe keineswegs tausende Juden vor der Deportation in die Konzentrationslager gerettet, erklärte das Centro Primo Levi in New York am Donnerstag. Palatucci, der im Februar 1945 im Alter von 36 Jahren im Konzentrationslager Dachau starb, wird in Italien bis heute als Held verehrt.
Zahlreiche Straßen und Plätze in Italien sind nach Palatucci benannt, Papst Johannes Paul II. würdigte ihn als Märtyrer und auch in Israels Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem wurde er geehrt. Nach bisheriger Darstellung rettete Palatucci als Polizeichef von Fiume, heute die kroatische Hafenstadt Rijeka, rund 5000 Juden das Leben, indem er ihre Dokumente zerstörte oder falsche Ausweise und Visa ausstellte.
Demnach schickte er sie in ein Internierungslager in Campagna im Süden Italiens, wo sein Onkel damals ein einflussreicher katholischer Bischof war. Das Centro Primo Levi widersprach nun dieser Darstellung. Demnach gab es in Fiume lediglich 500 Juden, von denen 80 Prozent im Konzentrationslager Auschwitz starben.
Die Direktorin des Zentrums, Natalia Indrimi, sagte zudem, in Campagna seien nur 40 Juden interniert worden und das nicht auf Anweisung Palatuccis. Außerdem habe Palatucci keine Dokumente zu Juden zerstört. Vielmehr habe er den Deutschen weiter Informationen zu Juden geliefert und als „williger Vollstrecker“ der Verfolgungsmaschinerie gearbeitet.
In Reaktion auf einen Brief Indrimis vom 7. Juni begann das Holocaust Memorial Museum in Washington, Verweise auf Palatucci aus ihrer aktuellen Sonderausstellung zu entfernen. Sie nahm auch einen Artikel zu ihm von ihrer Webseite.
Palatucci hatte bisher als der italienische Oskar Schindler gegolten, dem deutschen Industriellen, der tausende Juden vor der Deportation rettete. Die Raoul Wallenberg Stiftung hatte Palatucci als „italienischen Helden im Holocaust“ gewürdigt, der von der Gestapo festgenommen und unter dem Vorwurf der Verschwörung nach Dachau geschickt wurde. Erst vergangene Woche wurde im italienischen Polino ein Platz nach ihm benannt.
Leser*innenkommentare
daryl
Gast
Wer ist nun also glaubwürdig, die
Centro-Primo-Levi-Stiftung oder
die Wallenberg-Stiftung?
Eine neutrale Untersuchung bezüglich
dieser und anderer Expertisen
beider Stiftungen wäre wohl sinnvoll.
Automatisch die New Yorker Stiftung
als die vertrauensvollere zu bevorzugen,
wäre auch eine Form von
Voreingenommenheit.
Steckte hinter der Wallenberg-Stiftung
eine Organisation für Geschichtsfälschung?
Oder ist die Centro-Primo-Levi-Stiftung
ein Organ für innerjüdische Machtkämpfe.
Beide Organisationen sind mir gänzlich unbekannt.
Es wäre falsch, wenn anoyme ungeprüfte
Institutionen mit ungeprüften Dossiers die Geschichtsschreibung
massiv beeinflussen.
Ebenso ist es falsch, wenn aufgrund von Hörensagen,
Leute als Helden geadelt werden.
Es ist seltsam, dass viel kritische Geschichtsaufarbeitung nach dem Tode der meisten
Zeugen anfängt. So ist natürlich auch mit
dem geringsten Widerspruch zu rechnen.
Wer kann nun wirklich sagen, was los war?
lowandorder
Gast
Geht's vielleicht etwas genauer?
… warum kam er als Kollaborateur
dennoch und wann? nach Dachau
und dort kurz vor Kriegsende um?
Oder weiß man das nicht?