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Vom Paria zum Partner der EU

Libyens Feldmarschall Haftar, der die libysche Regierung in Tripolis bekämpft, hat sich zur Schlüsselfigur der Flüchtlingsabwehr an der Südküste des Mittelmeers entwickelt. Jetzt spielt er mit Europa

General Chalifa Haftar am Élysée-Palast in Paris 2018 Foto: Philippe Wojazer/reuters

Von Mirco Keilberth, Tunis

Mit dem Rauswurf einer hochrangigen EU-Delegation hat der in Ost- und Südlibyen regierende Feldmarschall General Chalifa Haftar die EU-Migrationsstrategie am südlichen Mittelmeer ins Wanken gebracht. Am Dienstag war der österreichische EU-Kommissar Markus Brunner mit Italiens Innenminister Matteo Pientedosi und Diplomaten aus Malta und Griechenland in die zweitgrößte libysche Stadt Bengasi gereist, wo der mächtige General Haftar das Sagen hat. Gespräche über die in den letzten Wochen drastisch gestiegene Zahl von Mi­gran­t:in­nen und Flüchtlingen aus Ostlibyen nach Griechenland und Italien waren geplant.

Doch am Flughafen Benina standen nicht wie erwartet Offiziere der von Haftar kommandierten Libyschen Nationalarmee (LNA), sondern Vertreter der international nicht anerkannten libyschen Parallelregierung von Haftars Gnaden unter Premier Osama Saad Hammad. Sie erklärten die völlig perplexen europäischen Diplomaten zu unerwünschten Personen und schickten sie zurück in ihren Flieger. Journalisten in Bengasi gehen davon aus, dass Hammad eine Anerkennung als legitime Regierung einfordert.

Damit erhöht Haftar, seit Jahren der wichtigste militärische Gegenspieler der international anerkannten Übergangsregierung Libyens in der Hauptstadt Tripolis im Westen des Landes, den Druck auf die EU. Allein am letzten Wochenende kamen auf Kreta mehr als 1.200 Mi­gran­t:in­nen und Flüchtlinge an, seit Jahresbeginn sind es über 9.000, eine Steigerung im Vergleich zum Vorjahr um 352 Prozent. Nun stoppten zwar die griechischen Behörden die Registrierung, Dutzende Boote sind aber noch von der libyschen Küste aus auf dem Weg nach Kreta.

Über eine Million Menschen sind aus dem Krieg in Sudan nach Libyen geflohen und das Land beherbergt wohl ebenso viele Mi­gran­t:in­nen aus Westafrika, die alle eigentlich nach Europa wollen. Griechenland will nun mit der Küstenwache unter Haftars Kommando eng kooperieren, um Boote zu stoppen.

Der 82-Jährige Haftar gilt zwar in Brüssel als mutmaßlicher Kriegsverbrecher wegen seines jahrelangen Kampfes gegen Libyens wechselnde Regierungen und seiner mehrjährigen Belagerung von Tripolis ab 2017. Doch heute hat er sich vom Paria zum Partner gewandelt. Seine LNA hat im vergangenen Jahr zahlreiche Abfahrten von den menschenleeren Stränden Cyrenaikas unterbunden. Aber sie kann sie eben auch fahren lassen.

Am Ursprung des Schwenks der EU liegt die Katastrophe vom 14. Juni 2023, als vor der griechischen Insel Pylos ein Fischerboot mit mehr als 700 Menschen an Bord sank. Nur 82 Leichen von Ägyptern, Palästinenser und Pakistanern wurden geborgen. Viele weitere Boote sind auf der Route vom libyschen Tiefseehafen Tobruk an die Küste Italiens spurlos verschwunden. Die EU suchte daraufhin händeringend Partner in Nordafrika, um die Boote zu stoppen.

Haftar legte den meist aus Ägypten kommenden Schmugglern das Handwerk und wurde als Staatsgast in Rom empfangen, die mit seinen Gnaden operierende ostlibysche Regierung wurde jedoch weiter ignoriert.

Haftar pflegt in den vergangenen Jahren zunehmend enge Beziehungen zu Russland, aber seine einst im Kampf gegen radikale islamistische Milizen wie Ansar Scharia und dem „Islamischen Staat“ (IS) aus lokalen Bürgerwehren entstandene LNA verdankt ihre Stärke vor allem Waffenhilfe aus Ägypten, Frankreich und den USA. Während die international anerkannte Regierung in Tripolis von der Unterstützung durch Milizen abhängig ist, können Haftar und sein Premier Hammad im Osten und Süden Libyens mit der LNA auf eine klare direkte Befehlskette und eine straff organisierte Armee zurückgreifen.

„Die LNA ist in der zunehmend entstaatlichten Region von Bengasi bis nach Mali wohl die am besten strukturierte Armee und daher unser naheliegender Partner gegen radikale Gruppen und Migrationsströme“, sagt ein für eine europäische Botschaft tätiger Sicherheitsexperte der taz. Er möchte anonym bleiben, da solche Kooperationen informell eingefädelt werden. Französische Soldaten waren offenbar an Haftars Belagerung von Tripolis 2017–20 beteiligt, mussten dann allerdings Hals über Kopf nach Tunesien fliehen. Auch Transportmaschinen der US-Luftwaffe fliegen regelmäßig mit unbekannter Fracht nach Bengasi.

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