Vom Outlaw zum Regisseur

■ Poppenbergs Dokumentarfilm „Der Regisseur“ um22 Uhr im ZDF Wie aus einem mißglückten Projekt ein eindringliches „Kleines Fernsehspiel“ wurde

Der 18jährige Andreas Ossmann gehört zu den Zeitgenossen, derenwegen ein „braver Bürger“ schon mal die Straßenseite wechselt. Seine Unterarme sind mit nietenbeschlagenen Ledermanschetten gepanzert, und auf dem T-Shirt prangt das Abbild eines Fabelwesens, das übelsten Alpträumen entsprungen scheint. Fritz Poppenbergs Film Der Regisseur handelt von den Alpträumen dieses Achtzehnjährigen, der von sich behauptet, er kenne alle Horrorfilme, die in Deutschland erhältlich seien, einschließlich der verbotenen.

Die Vorgeschichte: „Ich lernte Andreas bei einer therapeutischen Maßnahme des Jugendamtes kennen“, erklärt Poppenberg in seinem neuesten Film. „Soziale Entwicklungsstörungen“ hatte das Jugendamt diagnostiziert und Andreas 1985 mit dem Segelschiff „Outlaw“ auf die Reise geschickt. Sechs Monate kreuzte er mit anderen milieugeschädigten Jugendlichen unter Aufsicht von Pädagogen und Seeleuten im Mittelmeer und im Atlantik. Unter extremsten Bedingungen sollten die „Geächteten“ die Bedeutung von solidarischem Handeln am eigenen Leib erfahren.

Fritz Poppenberg, Absolvent der Deutschen Film- und Fernsehakademie Berlin, entschloß sich seinerzeit, das sozialpädagogische Experiment zu dokumentieren. Er konnte dafür das ZDF gewinnen, das ihn mit der Fertigstellung des Films beauftragte. Als die „Outlaw“ in See stach, gingen der Filmemacher und zwei Mitarbeiter ebenfalls an Bord. Während des sechsmonatigen Segeltörns entstanden zirka 45 Stunden Filmmaterial. Zurück in Deutschland kam es zum Eklat: Ingeborg Janiczek, Redakteurin der Abteilung Dokumentarspiel im ZDF, und der Regisseur konnten sich nicht auf eine gemeinsame Schnittkonzeption einigen, was zur Folge hatte, daß am 19.Juni 1989 der Film Unternehmen Outlaw in einer von Poppenberg nicht autorisierten Fassung gesendet wurde.

Normalerweise bedeutet derlei Zwietracht für einen Autor das Aus, was zukünftige Fernsehprojekte betrifft. Doch Poppenberg hatte Glück. Sein Outlaw-Folgeprojekt reichte er bei der Redaktion Das Kleine Fernsehspiel ein und stieß auf offene Ohren. Die Geschichte von Andreas, dem Splatter -Movie-Fan, dem Poppenberg die Möglichkeit verschaffen wollte, seinen eigenen Horrorfilm zu drehen, um ihn dann bei dieser Arbeit zu filmen, weckte die Neugierde der Redaktion. Würde Andreas einen Film drehen, der seine eigene, wenig behütete Kindheit aufarbeitet? Entstand mit diesem Film vielleicht ein handfester Beitrag zur weitgehend hypothetischen Gewalt-Video-Diskussion? Sind durch Dreharbeiten (wie das Segeln in höchstem Maße arbeitsteilig) „Lernerfolge“ zu erzielen, was das solidarische Handeln angeht?

Wie bereits bei Unternehmen Outlaw, so vertraut Poppenberg auch dieses Mal auf die dokumentarische Methode der teilnehmenden Beobachtung. Dabei steht der Prozeß des Filmemachens im Mittelpunkt des Interesses: Die quälende Auswahl einer Hauptdarstellerin, das Einrichten der Szenen, aber auch die Versuche von Andreas mit Gedärmen, frisch vom Metzger, möglichst „echte“ Effekte zu inszenieren - all das registriert die dokumentarische Kamera. Nur manchmal, wenn der Dokumentarfilmer versucht, in Andreas‘ Filmstory biographische Querverbindungen aufzuspüren, wird der gefilmte Ablauf der Dreharbeiten unterbrochen. Dann fragt Poppenberg aus dem Off, ob sich Andreas in der einen oder anderen Rolle wiedererkenne, doch er erntet jedesmal Kopfschütteln. So simpel - dies hätte Poppenberg wissen müssen - funktioniert die Freilegung psychischer Deformationen nicht.

Nichtsdestotrotz ist Der Regisseur die spannende Chronik eines ungewöhnlichen Experiments, in dessen Verlauf hinter der Fassade des skurrilen Zombie-Fans ein verletzbarer, bisweilen schüchterner Junge erkennbar wird. Darüber hinaus ist Der Regisseur ein Beispiel dafür, was Dokumentarfilm sein kann: Sprachrohr derjenigen, derentwegen ein „braver Bürger“ schon mal die Straßenseite wechselt.

Friedrich Frey

Der Horrorfilm von Andreas Ossmann kann bei der Redaktion „Das kleine Fernsehspiel“, Postfach4040, 6500Mainz, ausgeliehen werden.