Vom Ministerium zu Facebook: Endlich Lobbyismus für alle!
Deutschland lahmt bei der Digitalisierung. Mit dem Wechsel von Dorothee Bärs Büroleiterin zu Facebook geht es nun voran mit dem Einfluss der Netzgiganten.
E ine Büroleiterin der Staatsministerin für Digitalisierung wird Facebook-Lobbyistin. Es ist für Julia Reuss nicht der erste Gang durch die Drehtür zwischen Politik und Wirtschaft. Bevor sie vor zwei Jahren bei Dorothee Bär einzog, tauschte sie 2013 die Position der persönlichen Referentin des Bundesverkehrsministers gegen ein Engagement bei der Deutschen Bahn.
Reuss’ Karriereweg verläuft dabei recht zielstrebig an einer ethischen Grauzone entlang. Während für ihre Chefs Karenzzeiten für den Seitenwechsel im eigenen Fach gelten, sind die nachrangig bestellten Hilfskräfte deutlich freier in der Wahl ihrer Arbeitgeber*innen.
Ein leichtes Aroma von Korruption liegt in der Luft, denn man darf wohl annehmen, dass auch ohne unmittelbar politische Verantwortung getragen zu haben, die aus der zweiten und dritten Reihe aufgebauten Netzwerke Teil der Verhandlungsmasse bei der beruflichen Neuorientierung sind.
Dabei schneidet Deutschland im internationalen Vergleich noch ganz gut ab. Die regelmäßige Platzierung unter den Top 10 im Korruptionsindex von Transparency International weist auf eine konsolidierte Situation hin. Der Geldschein, diskret beim Händedruck überreicht, ist passé. Die Bürokratie kennt ihren Job und wird gut genug bezahlt, um plumpere Bestechungsversuche lächelnd abwehren zu können.
Überfällige Normalität
Für eine nachhaltige Interessenvertretung auf Bundesebene gar braucht es noch viel mehr: Tradition, Verbindungen und eine extrem gut gefüllte Kriegskasse. Diese Einflusssphäre, wo sich das Personalkarussell so lange vornehmlich zwischen Ministerien und Großindustrie (Autobauer, Kohle, Stahl) drehte, ist nun auch in greifbare Nähe für die Netzplattformen gerückt. Die künftige Facebook-Lobbyistin Reuss ist die Bannerträgerin, die uns aus dem digitalen Neuland in eine längst überfällige Normalität führt. Dafür gebührt ihr Anerkennung und Dank.
Bleibt noch die Randnotiz, dass Reuss mit dem Minister für Verkehr und digitale Infrastruktur liiert ist. Der mögliche Interessenkonflikt am Küchentisch aber sollte zügig erledigt sein. Schließlich wartet auf Andreas Scheuer, nicht zuletzt wegen seiner vielen Lobbyskandale und schon legendären Inkompetenz, doch der baldige Ruhestand. Oder etwa nicht?
Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen
Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
CDU-Chef Friedrich Merz
Friedrich der Mittelgroße
Soziologische Wahlforschung
Wie schwarz werden die grünen Milieus?
Jugend im Wahlkampf
Schluss mit dem Generationengelaber!
Wahlentscheidung
Mit dem Wahl-O-Mat auf Weltrettung
Streit um tote Geiseln in Israel
Alle haben versagt
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Russland und USA beharren auf Kriegsschuld des Westens