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Vom Lichtspielwesen

■ DEFA-Souvenirs: Geschichte und Geschichten aus der Babelsberger Traumfabrik

Eine Serie von Christoph Busch, Teil 2

Seit Anfang Juli ist die DEFA eine GmbH. Sie darf in der nächsten Saison noch sechs waschechte DDR-Filme produzieren, aber das Rezept für die Zukunft lautet: Auslandsaufträge. Als erster kam Loriot. Er dreht in Babelsberg „Papa ante portas“. Dennoch warten viele DDR-Filmschaffende zur Zeit auf ihre Entlassungspapiere: Die Zukunft der DEFA ist undurchsichtig. Eine Ursache sind Nachwirkungen der Vergangenheit: abgestufte Privilegien, Konflikte zwischen „Künstlern“ und Belegschaft, zwischen ästhetischem Anspruch und Schrebergartenpflichterfüllung. Das DDR-Filmwesen war eingeklemmt zwischen Zensur und der Kunst der indirekten Rede einerseits und den soliden Arbeitsbedingungen andererseits. Christoph Busch hat für seine fünfteilige Serie (jeweils donnerstags) in den Annalen gekramt, Experten konsultiert und mit Mitarbeitern gesprochen. Letzte Woche: die DEFA-Gründerjahre, heute: Kalter Krieg und Instant -Helden.

1950 - kalter Krieg, der frisch gegründete DDR-Staat und seine Einheitspartei ziehen die Zügel an. Auch die der DEFA. Auf den politischen Film folgt der parteipolitische. Während der Westfilm sich auf die „scharfen“ Kurven verlegt, beginnt für die DEFA eine an ganz anderen Kurven reiche Strecke: Je nach politischer „Wetterlage“ dürfen sich die Filmschaffenden mal nicht und mal ein wenig von der Parteigeraden entfernen.

Die Variationen des SED-Drucks auf die Firma und die Filme lassen sich grob rastern: Antifaschistischer Aufbau und kritischer Realismus ('46-'49); Einführung des „sozialistischen“ Realismus ('50-'53); gelockerter „neuer Kurs“ nach dem 17.Juni ('54-'58); weil die Liberalisierung den Ungarn-Aufstand verschuldet haben soll, folgt strikt „sozialistische“ Filmkunst ('59-'61); nach dem Mauerbau wieder die längere Leine, die 1965 mitsamt Kaninchenfilmen zurückgerissen wird... Auch die Babelsberger registrieren diese Kurven und loben die Antifajahre vor '50 als künstlerisch wertvollste Zeit. Doch die Partei schmettert diese „Drei-Perioden-Theorie“ 1958 - wieder mal ein Hardcore -Jahr - als „historisch unzutreffend“ ab.

Wir erlauben uns trotzdem ein paar treffende O-Töne, äußerst opportunistisch arrangiert: Während der ersten Frostperiode post Antifa macht ZK-Mitglied Hermann Axen 1952 auf der von der SED einberufenen Filmkonferenz im 'Neuen Deutschland‘ den strammen Vorbeter: „Die großen Schriftsteller und Künstler des kritischenRealismus glauben an die Gerechtigkeit, aber sie vermögen diesen Glauben nicht wissenschaftlich zu begründen und zu untermauern, sie begreifen nicht die geschichtliche Rolle der Arbeiterklasse und ihrer Vorhut, der Partei ... Der sozialistische Realismus dagegen bleibt nicht auf halbem Wege bei der sozialen Entlarvung stehen, er vermag weiter zu schreiten und die entscheidende Aussage richtig und positiv zu tun.“

Betonung auf „positiv“. Denn am Ende hat der Film happy zu sein, zwangsläufig, weil doch die ganze Geschichte nach „sozialistischem“ Verständnis dereinst happy enden wird. Ob sie will oder nicht. Vorbildlich und „zukunftsfroh“ eilt ihr und uns auf diesem Weg der positive Filmheld voraus. Zwar gibt es „gewisse Künstler, die behaupten, daß die negativen Typen differenzierter zu gestalten wären als die positiven, interessanter, weil sie vom normalen Durchschnitt abweichen. Aber solche Auffassung ist einfach dumm...Ich bin der Meinung, daß ein Aktivist, der ein kompliziertes neues technisches Verfahren erfunden hat und durch seinen Arbeitsfortschritt und seine Arbeitsmoral seine Mannschaft mitreißt, seine Brigade zu höherer Leistung anspornt, unter allen Umständen ein reicheres Innenleben haben muß als ein im selben Film vielleicht auftretender Saboteur, als ein Mörder oder als irgendeine andere der negativen Typen, auf deren psychologische Ausgestaltung die Regisseure des Westens noch immer so großen Wert legen.“ So versucht Kurt Maetzig anläßlich des fünfjährigen Bestehens der DEFA seine persönliche Kurve vom eigenen kritischen zum SED-Realismus zu kriegen. Bezeichnender Name der Veröffentlichung: Auf neuen Wegen.

Für Charakter bleibt da nicht viel Platz. Drehbuchautor Kurt Stern kritisiert den mangelnden Spielraum ein Jahr späterim 'ND‘: „Da gibt es zum Beispiel den Typ des Fortschrittlichen, der die ganze Wahrheit und alle vorbildlichen Eigenschaften gepachtet hat und vor lauter Vorbildlichkeit überhaupt nicht mehr zum Menschsein kommt; oder den Typ des Zurückgebliebenen, der einen ganzen Film lang nichts als seine Zurückgebliebenheit zur Schau stellt, bis er sich am Ende durch die klugen Reden des Fortgeschrittenen doch überzeugen läßt; oder den Typ des Bürokraten, der leider keine andere Eigenschaft hat als eben die, ordentlich bürokratisch zu sein; oder den Typ des Saboteurs, der schon als Saboteur auf die Welt gekommen zu sein scheint.“

Solche Instant-Helden präsentieren auch die „Stacheltiere“. Diese Kurzfilme sollen ab '53 mit den Mitteln der Satire richtiges Bewußtsein anstacheln. Wachsamkeit laut Vorschrift ist ein Muster dieses Genres. Die 'Deutsche Filmkunst‘ faßt '53 den Inhalt zusammen: „Ein Pförtner ist faul und bürokratisch. Ein Schreibmaschinendieb kann durch seine Faulheit ungehindert passieren und mit seiner Beute entwischen. Die zwei Kollegen, die den Dieb verfolgen wollen, hält der Pförtner auf, weil sie ihre Milchflaschen noch nicht in der Betriebs-HO abgegeben haben. Denn 'unser Betriebsschutz ist wachsam‘.“

Voll auf der pingeligen Linie liegt auch die Überschrift „Von 7.00 bis 17.00 Uhr“ im 54er 'Filmspiegel‘, einer populären Filmzeitschrift. Damit wird keine Diskussion übers Ladenschlußgesetz angekündigt, sondern ein Gang übers Gelände der Filmstadt Babelsberg. Es soll wohl nicht zu abenteuerlich werden, wie auch ein „berechtigter Vorschlag an die Pförtnerloge“ vermuten läßt: „Gebt jedem Besucher Geländekarte und Marschkompaß mit auf den Weg, auf daß er sich in eurem Labyrinth zurechtfinde!... Auf fünfhunderttausend Meter im Quadrat verstreut liegen planlos an-, hinter-, nach- und durcheinandergebaut die Werkstätten, Ateliers und Verwaltungsgebäude. Der naive Besucher irrt, wenn er annimmt, das größte und modernste Filmatelier Westeuropas sei auch ein Muster an plan- und sinnvoller Bauweise.“ Schuld am Durcheinander ist selbstverständlich früheres Profitdenken. Schließlich aber darf das Abenteuer doch beginnen: „Zuerst dachten wir, es sei eine weiße Staubwolke vor uns. Dann entpuppte sich diese aber bald als Bäckermeister, der sich nur mal das Arbeitszeug ausklopfte, und der Bäcker behauptete, er sei Stukkateur. Bis zu fünfzig Zentnern Gips werden täglich in der Stukkateurwerkstatt verarbeitet.“

Gips gibt's genug. Anderes fehlt, und nach dem 17.Juni 1953 hat der Westen einen Feiertag mehr, im Osten soll lockerer und mehr unterhalten werden. Das meint auch Ulbricht auf der 16. ZK-Tagung, September '53: „Es ist zu begrüßen, daß bereits Besprechungen über das Thema Filmkomödie stattgefunden haben. Es ist notwendig, mit Hilfe des Spielfilms und des Kinderfilms das Unterhaltungsbedürfniß der Menschen zu befriedigen und dabei gleichzeitig ihren Geschmack zu erziehen.“ Karl Eduard von Schnitzler, der sich auch als Filmkritiker betätigt, will mehr Freiheit für die Kunst, die nicht „mit publizistischer Tagesagitation zu verwechseln“ sei. Für ein Kunstwerk trügen „nicht zuständige Abteilungsleiter oder politische Funktionäre die Hauptverantwortung, sondern in erster Linie die Künstler selbst“, fordert der Nachrichtenartist in der 'Deutschen Filmkunst‘ 9/65. Dieser „neue Kurs“ Mitte der 50er ist selbstverständlich keine grundsätzliche Richtungsänderung, sondern eine neue Antriebsart, mit der die „Stagnation im Spielfilmstudio der DEFA“ überwunden werden soll.

Hierzu wünscht Kurt Maetzig sich statt des Dampfers der zentralen Dramaturgie mehrere kleine DEFA-Boote: In Produktionsgruppen sollen „fortschrittliche junge Künstler“ gemeinsam rudern, damit „dem Zuschauer klar wird: Nicht aus jedem unserer Filme spricht die Regierung der DDR, sondern hier sagen verschiedene fortschrittliche und leidenschaftliche Künstler ihre differenzierten Meinungen zu den Problemen unseres Lebens“. Daraus wird erstmal nichts. Denn die Gruppenidee hat Maetzig der erfolgreichen polnischen Filmwirtschaft abgeguckt, und das entstalinisierte Nachbarland ist keine gute Adresse. Gilt es doch als viel zu liberal, erst recht nach dem Ungarn -„Putsch“ 1956, den die SED-Führung auf die Gewährung „falscher“, „revisionistischer“ Freiheiten zurückführt.

Prompt wird wieder tiefgekühlt: Auf der Filmkonferenz '58 rechnet Kulturstaatssekretär Abusch in seiner Rede mit den „Tendenzen des Opportunismus und Revisionismus“ ab, die sich besonders ab 1956 breitgemacht hätten. Die Filmschaffenden hätten die sowjetische Stalinkultkritik „mißverstanden und in jeder Hinsicht vulgarisiert“ und „sich eingebildet, damit den Schlüssel zur Gestaltung hervorragender Filme errungen zu haben “. Ab sofort muß laut Abusch 24mal in der Sekunde „Sozialistische Thematik“ zu sehen sein: „Kampf und Probleme auf dem Weg zum Sozialismus“, „das Enstehen der sozialistischen Arbeitsmoral und der sozialistischen Moral und Ethik überhaupt, unsere sozialistische, wahrhaft menschliche Auffassung von der Liebe zwischen Mann und Frau“, „die wachsenden sozialistischen Beziehungen der gegenseitigen Hilfe zwischen Stadt und Land“, die „Gestalt des sozialistischen Kämpfers“ und so „sozialistisch“ weiter. Am Ende steht die Mauer. In geschlossener Gesellschaft darf dann etwas offener geredet und gedreht werden. Bis das Kaninchen wieder in den Stall muß.

Nächsten Donnerstag: Der böse Westen, die DEFA auf dem Dorf und der erste Liebesfilm

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