■ Premier Juppé erklärt korsischen Separatisten den Krieg: Vom Gesprächspartner zum Feind
Mit lautem Getöse geht in diesen Tagen in Frankreich eine langjährige Beziehung zwischen der Regierung in Paris und bewaffneten korsischen Nationalisten in die Brüche. Die Bombe des „FLNC-Canal historique“, die am Wochenende am Rathaus von Bordeaux explodierte, wo Premierminister Alain Juppé nebenbei Bürgermeister ist, markierte den Wendepunkt. Sie ist der Abgesang einer bewaffneten Bewegung, die politisch verloren hat, aber wenigstens militärisch noch Flagge zeigen will. Und sie zwingt zugleich die zaudernde französische Regierung, harte Maßnahmen zu ergreifen.
Juppé ist so unpopulär, wie ein Premierminister nur sein kann. Selbst seine eigene Mehrheit bekämpft ihn. Dieser Mann, der genau wie seine konservativen und sozialistischen Amtsvorgänger keine klare Korsikapolitik hat, wird nun von allen Seiten unterstützt. Das Attentat auf sein Rathaus gilt linken und rechten Franzosen als unerträglich und sorgt dafür, daß nun ausgerechnet Juppé eine Linie in die französische Inselpolitik bringt. Seine scharfe erste Reaktion machte deutlich, daß er die Gunst der Stunde erkannt hat: Er verglich die „korsischen Terroristen“ mit den islamistischen Integristen, die im vergangenen Jahr Frankreich mit ihren Bomben bedrängten, und erklärte dem FLNC-Canal historique den Krieg. Es wird Razzien und Verhaftungen geben und möglicherweise sogar zu Prozessen kommen.
Für eine derartige Entwicklung gab es lange keine Anzeichen. Im Gegenteil: Jahrelang war der illegale FLNC-Canal historique Lieblingsgesprächspartner von Paris. Dank der guten Beziehungen zum Innenministerium gelang es dem korsischen Scharfmacher François Santoni überhaupt erst, an die Spitze dieser militantesten Korsengruppe zu kommen. Unter seiner Ägide nahmen die Attentate zu, 1994 begann die Mordwelle innerhalb der nationalistischen Bewegung. Noch im Januar dieses Jahres durften 600 maskierte und mit Maschinengewehren bewaffnete Männer des FLNC-Canal historique eine „Pressekonferenz“ im korsischen Gebirge abhalten, ohne daß ein französischer Richter deswegen ermittelt hätte.
Acht Monate danach muß Santoni nun um seine Freiheit fürchten. Die Regierung setzt jetzt auf Repression und militärische Lösungen. Eine Korsikapolitik ergibt das freilich noch nicht. Dorothea Hahn
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen