Vom Ekel des Nachgeschmacks: Supernova von ganz unten

Man isst. Man genießt. Man schluckt. Man verdaut. Und dann kommt er: der Nachgeschmack. Engstirnig und ungewaschen, streng wie ein Sportlehrer.

Ein leergegessener Teller mit einem Löffel und Pflanzenresten

Der Teller ist leer. Doch das Essen ist noch nicht vorbei Foto: photocase / boing

Das Erdbeben schockt; das Nachbeben tötet. Die Rede ist silbern; die Nachrede übel. Der Tisch wackelt; der Nachtisch ist Wackelpudding. So ist das mit uns Menschen: In uneinholbarer Nachträglichkeit werden wir durch den Äther geworfen und denken uns dabei nichts Böses.

Hier geht es um Geschmack – und Nachgeschmack. Wenn ich, der ich ja zum Großteil aus Bakterien bestehe, wobei, was heißt dann überhaupt noch „bestehen“, na ja; wenn jedenfalls ich, und Sie sicher auch, wenn wir also unseren Schlündern etwas zur Digestion angedeihen lassen, das seinerseits wiederum zum Großteil aus Bakterien besteht, die sich ihrerseits sicher auch nichts Böses dabei denken; wenn wir das also tun, dann geht dieses Etwas, obwohl zum Zeitpunkt seiner Einverleibung kein bisschen übel riechend oder schmeckend, uns nach besagter Digestion, sprich: Verdauung, manchmal vor Gestank quer durch den Hals, und wir haben das Gefühl, unser eigener Körper verwandelt sich unter unseren Augen in einen Komposthaufen – was er, siehe oben, durchaus ist.

Zum Beispiel Gyros. Total lecker! Sonst würde ich es doch gar nicht Geschmackessen. Halten Sie mich nicht für blöd, bitte! Ich verstehe schon einiges. Ich verstehe mehr, als Sie denken. Ich kratze mich mehr hinterm Ohr, als Sie denken. Und das tue ich wirklich sehr selten. Sie denken, ergo, ziemlich wenig. Zum Glück haben Sie mich, der Ihnen dabei hilft. Wo waren wir?

Ach ja: Gyros. Total lecker! Wie gesagt: Sonst würde ich es doch gar nicht essen. Genau das Richtige nach einem harten Tag, der sich sicher auch nichts Böses dabei gedacht hat. Genau da hilft Gyros. Döner. Vergorene Hirse. Ein Spiegelei auf ex. So was.

Anschließend legt man sich in die Badewanne, hört einen Podcast über Podcasts über True-Crime-Podcasts und dem Bauch beim Verdauen zu und führt eine gepflegte Konversation mit dem Haushälter, der im selben Wasser getauft wurde wie Hildegard von Bingen, was man so auch noch nicht gehört hatte.

Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo. Und bei Facebook und Twitter.

Und dann kommt er: der Nachgeschmack. Und ist da und es ist so, als ob er nie nicht da gewesen wäre. Als ob das vergorene Knoblauch-Stracciatella-Hirse-Gyros schon zu Lebzeiten exakt so geschmeckt hätte: engstirnig und ungewaschen. Streng wie ein Sportlehrer.

Das verblüfft einen, obwohl man das doch kennt, dieses Phänomen. Immer wieder. Zur Genüge eigentlich. Und man überlegt und probiert: ob, und wenn ja, wie der jemals weggehen wird, dieser Geschmack. Man versucht, ihn zu überdecken. Haut sich rein: Apfel, Schokolade, Nussschorle, Rhabarberschnitte oder noch ein Spiegelei auf ex – doch nichts hilft. Nichts hilft.

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Seit 2015 bei der taz, zunächst als Praktikant, dann als freier Autor und Kolumnist (zurzeit: "Ungenießbar"). Nebenbei Masterstudium der Ästhetik in Frankfurt am Main. Schreibt über Alltag, Medien und Wirklichkeit.

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