Vom Eishockeyprofi zum Lebenscoach: „Ich war eine Kampfmaschine“
Andreas Renz war einer der härtesten deutschen Eishockeyprofis. Heute ist er Lebenscoach für Krisen. Seine Botschaft ist „bedingungslose Selbstliebe“.
Als Andreas Renz noch Eishockey spielte, nannten sie ihn „Eisen“, ein hart verdienter Kampfname. Keiner ging schonungsloser mit sich selbst um als der Verteidiger aus Schwenningen, keiner ignorierte Schmerzen so erfolgreich wie er. „Ich war nie ein Filigrantechniker oder Schönspieler, aber ich war eine Kampfmaschine, weil ich fitter und härter als alle anderen war“, sagt Renz, inzwischen 46 Jahre alt.
Wahr ist auch: Kaum ein deutscher Eishockeyspieler brachte es trotz überschaubarer technischer Fertigkeiten so weit wie er, zum Stammspieler in der Nationalmannschaft, deren Kapitän er eine Zeitlang war, und deutschen Meister mit den Kölner Haien. Aktiv war er von 1994 bis 2012.
Der Sport ist für Renz inzwischen weitgehend Geschichte. Dem Eishockey ist er noch dadurch verbunden geblieben, dass er Spiele regelmäßig im Fernsehen als Experte kommentiert, so auch in der Saison 2023/24 der Deutschen Eishockey-Liga (DEL), die am kommenden Donnerstag startet. Eishallen sieht Renz sonst kaum von innen, denn aus dem ehemals Eisernen ist ein Lebenscoach für Krisen aller Art geworden, ein Weichmetaller, um im Bild zu bleiben.
Auch optisch hat er sich verändert. Wer Renz nur aus Spielertagen kennt, wird ihn vermutlich schwer wiedererkennen. Der früher brave, gut frisierte Kämpfer hat nun lange Haare, einen Mehrtagebart. Und er spricht mit sanfter Stimme, wenn er seine Botschaften verkündet, von „bedingungsloser Selbstliebe“ erzählt, die er gefunden und die ihn gerettet habe.
Er ist schonungslos ehrlich
Seine Mission: Er will andere Menschen an dem Prozess der Selbstfindung teilhaben lassen, den er nach dem Profisport durchlebt hat, an seinen Erkenntnissen bezüglich des Lebenssinns. Deshalb ist er auch als Autor aktiv geworden.
„Dein härtester Gegner bist du selbst“, lautet der Titel seines kürzlich erschienenen Buches. „Andreas Renz erzählt vom Loslassen und der Kraft der Gefühle. Seine Geschichte zeigt, wie die Liebe zu sich selbst das Leben positiv verändern kann“, heißt es in der Verlagswerbung.
Renz’ eigene Worte klingen so: Es gehe ein wenig um Sport, aber vor allem „um einen Menschen, der sich verloren und wiedergefunden hat“. Er sei „schonungslos ehrlich“, verspricht er, und er berichtet unter anderem über traurig-prägende Erlebnisse aus der Kindheit, über eine gescheiterte Ehe, wechselnde Affären, toxische Beziehungen und weitere Ingredienzien seines früher konfusen Privatlebens.
Schläger im Auge
Was ist also geschehen, damit der Härteste der Harten auf den Weg der Weis- und Weichheit gefunden hat? Als einschneidendes Erlebnis beschreibt Renz das Karriereende, das ihn im Alter von 35 Jahren ereilte. Der Schwarzwälder musste Schluss machen, da er im Training einen Schläger ins Auge bekam. Es wurde dabei so sehr lädiert, dass ihm auf der betroffenen Seite bis heute nur 30 Prozent Sehkraft geblieben sind. „Leistungssport war damit nicht mehr möglich“, sagt Renz.
Zunächst hatte er noch versucht, damals in Schwenningen, in bester Eisen-Manier weiterzukämpfen. Es funktionierte aber nicht mehr wie gewünscht. Seine Leistungen waren schlecht, die Fans pfiffen ihn sogar gelegentlich aus. „Leistungssport ist schon brutal“, sagt er. „Vorher hatte ich mit Kampf alles erreicht, jetzt konnte ich nicht mehr kämpfen.“
Als er es schließlich einsah und aufhörte, brach die Welt des Eisen-Renz zusammen; ohne Sport, ohne den täglichen Kampf, fehlte ihm die Orientierung im Leben. „Ich habe gemerkt, ich muss etwas machen, und bin auf den Selbstfindungsweg gegangen.“ Und der verlief anfänglich sehr holprig und gefährlich.
Früher hat er solche Aussagen belächelt
So bestieg Renz, wie er erzählt, den Kilimandscharo „in einer waghalsigen Aktion“. Er lief viel zu schnell hoch und wäre fast an der Höhenkrankheit gestorben. Nachdem er es überstanden hatte und wieder fit war, unternahm er weitere Abenteuertouren und ging auch in ein Schweigekloster. Den Sinn des Lebens fand er jedoch immer noch nicht.
Irgendwann versuchte es Renz mit dem Weg nach innen, mit Meditationen, die ihm offenbar Erleuchtung brachten. Er erkannte, wie er sagt, dass all seine kämpferischen Aktionen nur den Sinn gehabt hätten, eine innere Leere zu füllen, Gefühle der Minderwertigkeit zu betäuben.
Renz erzählt: „Der Sport hat alles überdeckt. Durch den Gang in meine Mitte, das Herz, das Fühlen, Traumen und Kindheitsverletzungen auflösen, dadurch bin ich bei mir selbst angekommen. Ich bin von meinem härtesten Gegner zu meinem besten Freund geworden.“ Früher hätte er solche Aussagen belächelt, gibt er zu: „Ich wusste früher nur: Wenn man hart arbeitet, dann erreicht man seine Ziele.“
Bereitschaft zur Selbstqual
Schon als Kind hatte er besonders hart kämpfen müssen, sein Weg in den schnellen Kufensport war schwer. Zunächst versuchte er es im Fußball. „Dort wurde ich aber weggeschickt, weil ich zu schlecht war“, sagt er. So kam er im Alter von zehn Jahren zum Eishockey, was in dem koordinativ höchst anspruchsvollen Sport sehr spät ist, meist zu spät, um weit zu kommen. Viele Kinder fangen mit fünf oder sechs Jahren an, manche sogar schon mit drei Jahren.
Der kleine Andreas Renz wollte es trotzdem wissen. Nach seiner Abfuhr beim Fußball habe er sich geschworen: „Ich werde nie wieder weggeschickt, ich werde allen zeigen, dass ich dazugehöre. Dann wurde ich eine Leistungsmaschine. Das war einerseits der Motor meiner Karriere, auf der anderen Seite war ich immer getrieben von diesem Gefühl, nicht gut genug zu sein.“
Sein Einsatz und Arbeitswille waren so groß, dass er es schaffte, mit 17 Jahren gut genug zu sein, um in Schwenningen Profi zu werden. „Wenn die anderen aufgehört haben zu trainieren, habe ich erst richtig angefangen. Ich war es gewohnt, mich zu quälen.“
Sein Markenzeichen: unkaputtbar
Das machte sich auch im Umgang mit Verletzungen bemerkbar. In seiner Zeit bei den Kölner Haien stand er einmal zwei Wochen nach einer Herzoperation wieder auf dem Eis. Ein Kreuzbandriss? Auch kein Problem für den Eisernen, denn unter der Eishockey-Ausrüstung lässt sich schließlich eine Bandage tragen. So spielte Renz drei Wochen nach der schweren Knieverletzung wieder, wo andere Spieler ein halbes Jahr pausieren.
Heute sieht er es so: „Mein Markenzeichen war es, unkaputtbar zu sein. Das war sicher nicht gesund. Ich weiß inzwischen: So leben Menschen nicht nur im Sport, sondern auch in anderen Lebensbereichen, gegen den Körper und gegen die Gesundheit. Zum Beispiel Manager. In diesem Hamsterrad stecken viele drin, irgendwann knallt es, und sie sind im Burn-out. An dieser Stelle hole ich Menschen ab mit meiner Geschichte.“
Mit seiner zweiten Frau und zwei Kindern lebt er heute am Bodensee, glücklich, wie er sagt, und veranstaltet Coachingseminare. Es gibt auch einen Podcast von ihm zu Dingen des Lebens, die ihm bedeutsam erscheinen. „Wie du dich für Wunder öffnest“, lautete unlängst ein Thema, und ein anderes: „Ein Traum wird Wirklichkeit.“
Renz ist davon überzeugt, dass seine Erkenntnisse für andere nützlich sein können, denn er meint: „Wenn ich, einer der ehemals härtesten Typen des Eishockeys, der Eisen-Renz, Zugang zu meinen Gefühlen und in die Selbstliebe finden konnte, dann schafft das jeder.“
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