Vom Dreck und Crack der Ghettos

■ Die diesjährige Literarische Woche in Bremen stellt die postmoderne amerikanische Literatur vor/ Für die Amis „das wichtigste Kulturereignis 1995 in Deutschland“

„If Robert Creeley is in town, nobody goes to bed“, hat Allen Ginsberg einst über den amerikanischen Lyriker Robert Creeley gedichtet. Die Bremer LeserInnen können sich am 29. Januar selbst von den Worten des Altmeisters der amerikanischen Nachkriegsdichtung überzeugen. Creeley wird im Rahmen der 19. Literarischen Woche Bremen in der Kleinen Schauburg lesen.

Die Literarische Woche vom 23. Januar bis zum 5. Februar stellt in diesem Jahr US-amerikanische Literatur vor. Für die Amerikaner ist die Literarische Woche „das größte kulturelle Ereignis für die USA 1995 in Deutschland“, sagt Josef Kruzich vom Amerika Haus Hamburg. „Die amerikanische Regierung hält Bremen politisch und wirtschaftlich für sehr wichtig“, sagt Kruzich. Die Lesungen werden durch eine Filmreihe im Kino 46 und eine Ausstellung des Künstlers Sam Francis ergänzt.

Die Liste der VeranstalterInnen ist lang, hauptsächlich an der Auswahl der AutorInnen waren jedoch die Rudolf-Alexander-Schröder-Stiftung, das Literaturkontor und das Amerika-Haus Hamburg beteiligt. Sie haben fünf Autoren und zwei Autorinnen eingeladen, die in Deutschland weitgehend unbekannt sein dürften. Die VeranstalterInnen hätten sich natürlich über Größen wie William Gaddis, Thomas Pynchon oder Allen Ginsberg himself gefreut. Die lehnten jedoch ab, und so können sich die BremerInnen einen aktuellen Überblick über die zukünftigen wichtigen amerikanischen SchriftstellerInnen verschaffen.

Interessant dürften vor allem die bislang nicht ins Deutsche übersetzten AutorInnen sein. Wie zum Beispiel der schwarze Dichter, Essayist und Journalist Michael Warr aus Chicago. In der Tradition der schwarzen Stadtlyrik verfaßt Warr avantgardistische Gedichte. Sie handeln vom täglichen Rassismus, dem Dreck in den Schwarzenghettos, Crack und der Unfreiheit. Warr hat viele Jahre als BBC-Korrespondent in Äthiopien gearbeitet, leitet jetzt ein Literatur-Projekt für Minderheiten in Chicago. Zusätzlich zu seiner Lesung am 5. Februar wird Warr einen Vortrag über die Beziehungen von Kunst und Politik in den USA halten.

Diane Glancy vertritt die Native Americans auf der Literarischen Woche. Sie ist Cherokee und greift die Erzähltradition ihres Volkes auf. In kurzen Sätzen, präzise formuliert, entwirft sie assoziative Bilder und Geschichten. Sie liest am 1. Februar im Café Ambiente.

Warr, Glancy und die anderen AutorInnen werden bei den Lesungen von ihren ÜbersetzerInnen begleitet und übersetzt. Paul Ingendaay, hervorragender Kenner der Szene und Literaturkritiker der FAZ, wird einen Vortrag über moderne und postmoderne amerikanische Literatur halten (27. Januar).

Höhepunkt des literarischen Reigens ist für die VeranstalterInnen die Verleihung des Bremer Literaturpreises. Diesmal wird Reinhard Lettau für seinen Roman „Flucht vor Gästen“ ausgezeichnet. Seit den fünziger Jahren pendelt Lettau zwischen den Kontinenten, lebte rund 15 Jahre in den USA. Zusammen mit dem Bremer Literaturwissenschaftler Wolfgang Emmerich und dem Oldenburger Schriftsteller Klaus Modick wird Lettau am 24. Januar einen transatlantischen Austausch wagen.

Den Förderpreis erhält, wie berichtet, Marion Titze. Vielen LeserInnen dürfte lediglich ihre Erzählung „Unbekannter Verlust“ bekannt sein, für die Titze in Bremen ausgezeichnet wird. fok

Eine Veranstaltungsübersicht gibt es ab sofort bei den bekannten Stellen wie Bibliotheken u.ä. Deutsche und englische Bücher der AutorInnen haben die Buchhandlungen Orlando und Bettina Wassermann vorrätig.