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Volksparteien in der KriseDie Schwäche der Mitte

Stefan Reinecke
Kommentar von Stefan Reinecke

Die Wahlen in Sachsen und Brandenburg sind mehr als regionale Ereignisse. Sie zeigen: Der Osten ist die Zukunft des Westens.

Macht die Mitte glücklich? Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer sieht nicht so aus Foto: dpa

S achsen und Brandenburg werden weiterhin von Demokraten regiert. Also Entwarnung? Alles nicht so schlimm? Nichts wäre törichter. Dies ist der letzte Weckruf. Die SPD in Brandenburg und die CDU in Sachsen haben von taktischen Vernunftwählern profitiert, die im letzten Moment verhindern wollten, dass die AfD stärkste Partei wird.

Die Erfolge der SPD in Brandenburg und auch der Union in Sachsen sind gewissermaßen geliehen. Und weder SPD noch CDU haben für die Zukunft eine brauchbare Idee, wie das Bündnis von rechtsextremen und rechtskonservativen Kräften effektiv bekämpft werden kann.

Der zweite Irrtum lautet: Das war nur eine Ostwahl, Ausdruck von notorisch Beleidigten, die mittels AfD ihren Protest gen Westen adressieren. Dieses Motiv spielt zwar eine Rolle, doch das ist kein Grund für Selbstberuhigung.

Abgehängte Regionen und gefühlte Globalisierungsverlierer gibt es auch im Westen. Und der Osten ist, was Parteipolitik angeht, Avantgarde. Dort sind die Bindungen an die Parteien loser, man wählt eher mal Protest und situativer. Genau das lässt sich seit Langem auch im Westen beobachten – und zwar in zunehmendem Maße.

Die neuen Konfliktlinien

Die beiden Wahlen zeigen: Die neue Konfliktlinie verläuft, auch wenn die Grünen unter ihren Erwartungen blieben, zwischen weltoffenen, ökoliberalen Städtern und gefühlten Verlierern in der Provinz, die Heimat, Nation und Abschottung wollen. Die Mitte, der magische Ort bundesrepublikanischer Politik, der Ort, an dem Wahlen gewonnen und verloren werden, beginnt sich aufzulösen.

Die alten bundesrepublikanischen Volksparteien SPD und CDU werden in dieser Lage langsam zerrieben. Ihre einzige Chance, diesen schleichenden Prozess zu stoppen oder zu verlangsamen, ist: Sie müssen unterscheidbarer werden. Die Union muss konservativer werden, mit mehr Antennen für Provinz und kulturelle Verlierer. Die SPD muss statt dem routinierten „sowohl als auch“ deutlich linker auftreten.

Die Mitte, so die nur scheinbar paradoxe Botschaft dieser Wahl, muss sich polarisieren, um Mitte bleiben zu können.

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Stefan Reinecke
Korrespondent Parlamentsbüro
Stefan Reinecke arbeitet im Parlamentsbüro der taz mit den Schwerpunkten SPD und Linkspartei.
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3 Kommentare

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  • 7G
    7964 (Profil gelöscht)

    Aber nein, aber nein. Es ist Zeit, endgültig die Parteienwahl zu verabschieden - sie ist undemokratisch geworden. Jetzt hilft nur noch die Sachwahl.

  • 0G
    07954 (Profil gelöscht)

    Die SPD sollte nicht linker werden sondern sich aufspalten in 2 neue Parteien. Die werden ihre Streitigkeiten nicht mehr lösen. Zuviel verbrannte Erde in der ehem. Volkspartei.

  • Das Mikadospiel zwischen beiden Volksparteien CDU/CSU, SPD als Mitglieder beatmende Wesen, wer sich zuerst rührt, hat verloren, seit Deutscher Einheit 1990, in deren Vorwege der gesamtdeutsch jubelnde Wille vom linken, rechten Rande her, ab durch die Mitte, nach innen und außen vertraglich Frieden zu stiften, nicht abgeholt, zum friedlosen "Zwei plus Vier Format" führte, wie es sich Rudolf Augstein in der Spiegel Kolumne 5. März 1990 "Bitte keinen Friedensvertrag" noch vor ersten freien DDR Wahlen 18. März kleinmütig erfleht hatte, hat inzwischen zur Flucht beider Volksparteien in die seit 2005 unter Ausrufung nationalen Notstandes Bundeskanzler Gerhard Schröders Richtung vorgezogener Neuwahl, nahezu ununterbrochene GROKO geführt, sich bei diesem Mikadospiel noch mehr unter Beoachtung, sprich Kontrolle zu halten, Wiedervorlage- , auf Wiedervorlageakte, Lastenausgleichs- , Vereinigungskrise, Vermögenssteuerkrise seit 1997, Euro- Dauerkrise seit 2002, Handelsbilanzüberschuss 300 Milliarden €/anno als Stolperstein für freien Handel, Wandel, Verkehr, sinkende Kaufkraft der Bevölkerung durch "Working Poor Niedriglohnsektor zu Gunsten privater, staatlicher Arbeitgeber in allen gesellschaftlichen Bereichen bis in UNIs, Lehre, Forschung, Bildung, Ausbildung, bei explodierenden Preisen für Mieten, Grund, Boden, Energie, Grundbedarf u. a. durch Kapitalflucht aus Krisen- , Kriegsregionen nach Deutschland in Ballungsräume, militärische Interventionskrise seit Kosovokrieg 1999, entgegen ostdeutscher Mentalitätsbefindlichkeit Historie Richtung Russland, NineEleven2001, mit folgenden Strömen Geflüchteter, Integrationskrise, verstärkte Krise französisch-deutscher Zusammenarbeit seit Aachener Vertrag Januar 2019 zur Bestärkung Elysee Vertrages 1963 mit Militärkomponente an NATO, EU Partnern vorbei, Breitbandversorgungskrise ländlicher Raum, Ost wie West, Klimawandelkrise trotz Klimakabinettbeschlusspaket, unerledigt anzuhäufen.



    www.spiegel.de/spi...nt/d-13497030.html