Volksentscheid über den CDU-Fraktionsvorsitzenden: Der Tief-Pflüger
Der CDU-Fraktionschef steckt in der Klemme: Das Volksbegehren zum Flughafen Tempelhof spricht vor allem Stammwähler an. Doch Pflügers Karriere droht abzustürzen, bringt er die Partei nicht auf liberalen Kurs.
Berlin macht es Friedbert Pflüger wirklich nicht leicht. Anfangs zauderten die Parteifreunde in der Hauptstadt, dem Hannoveraner die Spitzenkandidatur bei der Abgeordnetenhauswahl anzutragen. Später mühte sich der innerparteilich als liberal Geltende nach Kräften, die kleinbürgerlichen CDU-Sympathisanten mit Charme von sich zu überzeugen. Doch nichts hat geholfen. Die meisten Berliner fremdeln bis heute mit dem Fraktionsvorsitzenden der größten Oppositionspartei. Das muss wissen, wer verstehen will, warum der Volksentscheid über die Offenhaltung des Flughafens Tempelhof der Union so wichtig ist. Er ist einer ihrer raren Trümpfe. Er könnte Pflügers letzter sein.
Heute in einem Monat, am 27. April 2008, können 2.446.277 Berliner ihre Stimme für oder gegen die Schließung des Flughafens Tempelhof abgeben. Ende Oktober soll der Innenstadtairport schließen.
So will es der Senat, der andernfalls den Betrieb des geplanten Großflughafens in Schönefeld in Gefahr sieht. Stimmen mindestens 611.000 Wähler für die Offenhaltung, gilt der Volksentscheid als erfolgreich. Es sei denn, es gibt noch mehr Neinstimmen. Der Senat ist an das Ergebnis jedoch nicht rechtlich gebunden. Bis zum 5. April sollen alle Stimmunterlagen verschickt sein.
In genau einem Monat dürfen die Berliner per Wahlschein entscheiden, ob sie den Senat auffordern wollen, den innerstädtischen Flughafen über das geplante Ende am 1. November hinaus weiter zu betreiben. Das klingt umständlich, und das ist es auch. Denn der Senat ist an das Ergebnis des Volksentscheids nicht rechtlich gebunden. Selbst wenn die erforderlichen mehr als 600.000 Stimmen für die Offenhaltung zustande kommen, gerät Rot-Rot bestenfalls unter moralischen Druck, auf den Bevölkerungswillen einzugehen. Aber an einen solchen Erfolg glaubt selbst in der CDU kaum jemand.
Denn Pflügers Partei hat ihren eigentlichen Erfolg bereits eingefahren, als die von ihr massiv geförderte Tempelhof-Kampagne in der Vorstufe zum Volksentscheid mehr als 200.000 Unterschriften sammeln konnte. Der Trumpf der CDU ist ausgespielt. Nun stehen die Partei und ihre Galionsfigur vor einer neuen Frage: Was machen wir, wenn der Volksentscheid vorüber ist? Die wahrscheinlichste Antwort wird vor allem dem liberalen Pflüger gar nicht passen.
Die Berliner CDU ist im Herzen noch immer eine Westberliner CDU. Und deren Anhänger identifizieren sich mit anderen Themen als ihr Frontmann: Während sich viele von ihnen an verstaubter Rosinenbomber-Romantik berauschen, wirbt der Unions-Öko seit Jahrzehnten für umweltverträgliche Verkehrskonzepte. Während die Berliner Anhänger von Union wie Grünen wenig von einem Bündnis nach Hamburger Vorbild halten, sieht Pflüger in Schwarz-Rot oder Jamaika seine einzigen Regierungschancen. Und zu allem Überfluss muss der Unionsmann bald noch ein Volksbegehren anführen, das überwiegend klassische CDU-Wähler anspricht: Die Initiative "Pro Reli" will an Berlins Schulen Religion als Wahlpflichtfach einführen. Im Juni könnte das Stimmensammeln beginnen, ein Erfolg ist wahrscheinlich.
Damit gerät Pflüger immer tiefer in ein Dilemma. Eigentlich will der 53-Jährige seine Partei endlich zu dem machen, was sie ihrer Selbstanpreisung nach bereits ist: eine "liberale Großstadtpartei". Andererseits hält sich der Fraktionschef derzeit vor allem dadurch an der Macht, dass er Gefühle strukturkonservativer Stammwähler befriedigt.
Mit den Folgen dieses Spagats sind die mächtigen CDU-Bezirksfürsten gar nicht zufrieden. Denn laut einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Infratest dimap kommt die Union derzeit lediglich auf 23 Prozent. Das ist weniger als im Katastrophenjahr 2001, als die schwarz-rote Koalition zerbrach und die Union auf 23,8 Prozent abstürzte. Bei Pflügers Einstand 2006 kam der Verlegenheitskandidat sogar nur auf 21,6 Prozent.
Kurzum: Pflüger, der Zugezogene, bewegt sich auf dünnem Eis. In der Partei hat er keine Hausmacht, und solange die Umfragewerte im Keller bleiben, hat er wenig Spielraum für sein Lieblingsprojekt: die Öffnung der CDU für neue Bündnispartner. Besonders deutlich zeigt sich das in diesen Tagen.
Über die Osterfeiertage hat Pflüger ein neunseitiges Papier zum Umgang mit der Linkspartei verfasst. Darin fordert Pflüger, nebenbei Präsidiumsmitglied der Bundespartei, die CDU solle künftig anders auf die bundesweiten Erfolge der Sozialisten reagieren: "Den Kampf um Gerechtigkeit darf sich meine Partei nicht von demagogischen Linken wegnehmen lassen", schreibt Pflüger. Um nicht als Linker zu gelten, fügt er hinzu: "Die mangelnde Bereitschaft der Sozialdemokraten, sich offensiv mit der Linken auseinanderzusetzen, bedeutet für uns als Union, die Linke offensiver und konkreter als bisher anzugreifen." Allzu häufig werde die Kritik an der DDR als ein Angriff auf alle Menschen in der DDR verstanden, schreibt Pflüger im "Diskussionspapier". Das müsse die CDU "klüger machen als bisher".
Wie das mit parteiinternen Papieren so ist, lassen sie sich je nach Gusto bewerten. Wer es gut meint mit Pflüger, kann in dessen Papier den Versuch sehen, der Bundespartei eine Waffe im Kampf gegen die Linkspartei in die Hand zu geben. Wer es nicht so gut meint mit dem Fraktionschef, kann es als Vorwurf an die Berliner Union verstehen. Pflügers Parteifreunde meinen es nicht gut.
Besonders schmallippig reagierte der Generalsekretär Frank Henkel: "In Berlin haben wir seit je eine klare Linie. Hart gegen Verharmlosen von Mauer, Stacheldraht und Schießbefehl - und Anerkennung gegenüber der Lebensleistung der überwältigenden Mehrheit der Menschen, die sich nicht von der SED-Diktatur vereinnahmen lassen."
Henkel steht stellvertretend für viele in der Partei. Sie fühlen sich von ihrem Frontmann überrumpelt und überhört. Der unterschwellige Vorwurf lautet: Der Hannoveraner weiß nicht, welche Politik wir seit Jahren in Berlin fahren. Immer wieder prescht Pflüger mit Ideen und Vorschlägen vor, ohne die Partei genügend vorzubereiten. So war es bei seinem frühen Ja zum Ausbau der Kitabetreuung, ebenso bei den Avancen an die Grünen. Die Linkspartei ist erst recht ein Reizthema. Generalsekretär Henkel beispielsweise spricht bis heute mit Vorliebe von der "roten Einheitsfront" in Berlin, wenn er SPD, Linkspartei und Grüne meint.
Umfragetief, Themenmangel und parteiinternes Misstrauen: Wohl und Wehe von Pflügers politischer Karriere hängen davon ab, ob er in Umfragewerten endlich messbare Erfolge vorweisen kann. Doch wie soll das gehen, wenn die Linie der Partei und jene ihrer Vorzeigefigur so deutlich auseinanderklaffen? Berlin wird es Friedbert Pflüger auch in Zukunft nicht leicht machen.
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