Volksbegehren Grundeinkommen in Berlin: „Es wird ein Krimi“
Der Initiative für einen Grundeinkommen-Feldversuch fehlen noch mehrere zehntausend Unterschriften. Um sie zu sammeln, bleiben nur noch vier Tage.
taz: Frau Brämswig, bis Montag hat die Initiative Expedition Grundeinkommen noch Zeit, Unterschriften für einen Volksentscheid zu sammeln. Sie wollen einen Feldversuch durchsetzen, bei dem rund 3.000 Berliner*innen ein bedingungloses Grundeinkommen erhalten. Wie ist der Stand?
Laura Brämswig: Wir stehen jetzt bei knapp 100.000 Unterschriften.
Das würde bei weitem nicht reichen für einen Entscheid: Notwendig sind etwa 175.000 Unterschriften.
Es ist zum Glück gerade ganz viel in Bewegung: In den letzten Tagen waren immer 70, 80 Leute für uns unterwegs; viele sind ganz neu dazu gekommen, um zu sammeln. Wir wollen jetzt am Wochenende einen richtigen Endspurt hinlegen. Aber es wird ein ganz schöner Krimi – das können wir jetzt schon sagen.
Wie soll der Endspurt aussehen?
Wir haben über ganz Berlin verteilt – von Spandau bis Lichtenberg und Dahlem ist alles dabei – mehr als 20 Stationen eingerichtet, zu denen die Menschen kommen können: zum Unterschreiben, zum Unterschriften sammeln, und um Unterschriftenlisten, die noch zu Hause liegen, abzugeben. Auf unserer Webseite sind die Stationen und Zeiten aufgelistet: Wir wollen es den Menschen jetzt ganz einfach machen, uns auch spontan zu unterstützen.
Zur Abstimmung steht nicht die Einführung eines Grundeinkommens für alle, sondern ein wissenschaftlich organisierter und begleiteter Versuch, um empirische Daten zu sammeln, wie ein solches Grundeinkommen am besten umzusetzen sei. Insgesamt rund 3.500 Menschen in Berlin sollen im Rahmen dieses Versuchs drei Jahre lang ein solches Grundeinkommen erhalten und damit machen können, was sie wollen. Wie hoch dieses Einkommen sein wird, steht noch nicht fest: Nach Vorstellungen der Initiative wird es mehrere unterschiedlich ausgestattete Versuchsgruppen geben, um am Ende Vergleichsmöglichkeiten zu haben, welches Modell wie funktioniert. Die Kosten für das Land würden etwa 70 Millionen Euro betragen.
Unterschreiben rund 175.000 Berliner Wahlberechtigte, kommt es zum Volksentscheid – es sei denn, das Abgeordnetenhaus nimmt den Entwurf unverändert an. Beim Entscheid müssen eine Mehrheit und mindestens 25 Prozent der Berliner*innen für den Gesetzentwurf stimmen, damit dieser umgesetzt wird. (taz)
Bei jedem Volksbegehren ist bisher eine große Unbekannte gewesen, wie viele Listen kurz vor knapp noch eintreffen.
Richtig. Die Initiative gegen eine Bebauung des Tempelhofer Feldes hat am letzten Tag noch 50.000 Unterschriften bei Leuten zu Hause abgeholt. Ständig hat jemand angerufen und gesagt: „Ich habe hier noch Unterschriften liegen.“ Und diese Listen, die noch bei Unterstützer*innen zu Hause liegen, die brauchen wir jetzt.
Um wie viele Unterschriften geht es da schätzungsweise?
Wir haben mehr als 100.000 Rückumschläge verteilt, in denen jeweils Platz drin ist für zehn Unterschriften. Davon haben wir schon einige zurückbekommen, aber halt auch nur einige.
Ein anderer Unsicherheitsfaktor sind ungültige Unterschriften von Menschen, die das Abgeordnetenhaus nicht wählen und deswegen auch nicht für Volksentscheide stimmend dürfen. Können Sie einschätzen, wie hoch die Quote ist?
Sie lag bei den von der Wahlleiterin bereits geprüften Unterschriften zwischen 20 und 25 Prozent – also relativ hoch. Und bei der Hälfte davon lag es daran, dass die Menschen keinen deutschen Pass hatten. Das Thema Grundeinkommen betrifft halt einfach alle Menschen.
ist eine der Mitbegründerinnen von Expedition Grundeinkommen. Die Initiative ist Trägerin des Volksbegehrens.
Haben Sie den Eindruck, dass die Leute auf der Straße wissen, worum es Ihrer Initiative geht?
Ja. Die Menschen verstehen, warum es ein bedingungsloses Grundeinkommen braucht. Und wer für uns unterwegs ist, merkt, dass die Leute gerne unterschreiben. Die nehmen auch ein paar Umschläge mit und sagen, ich frage noch mal ein paar Freunde.
Woran lag es dann, dass bisher verglichen mit anderen Begehren so wenig Unterschriften zusammengekommen sind?
Wir waren zu wenig Sammelnde in den ersten Wochen. Wir hätten in dieser Zeit präsenter sein müssen. Nachdem wir begonnen haben, eine Ehrenamtspauschale zu zahlen, ist die Zahl der Sammelnden stark gestiegen – offenbar war das ein Grund, sich zu beteiligen. Und wir hatten stark mit Corona zu kämpfen: Es waren einfach viele Unterstützer*innen krank.
Derzeit bestimmt eine Vielzahl von Krisen die politische Debatte, von Corona über Energie bis zum Krieg in der Ukraine. Hat Ihnen das geschadet?
Grundeinkommen ist eher ein in die Zukunft gerichtetes Thema: Wie können wir näher an die Gesellschaft kommen, die wir uns wünschen? Da fehlt ein bisschen die Dringlichkeit, die etwa die Wohnungspolitik hat, wenn man gerade eine Mieterhöhung bekommen hat. Wir glauben aber, dass wir die Debatte jetzt führen müssen. Viele der aktuellen Krisen wären eben mit einem bedingungslosen Grundeinkommen viel leichter zu bewältigen, auch ehrenamtliches Engagement fiele vielen leichter.
Am Montag ist letzter Tag für die Sammlung. Wie wird der ablaufen?
Alle Unterschriften, die wir bis zum 5. September bekommen, müssen auch an dem Montag bei der Landeswahlleitung, sprich: der Senatsinnenverwaltung, abgeben werden. Der Nachtportier ist auch um 23.59 Uhr noch da. Das werden wir nutzen.
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